25.04.2018

Wir waren geachtet

Islamseminar zum Thema „Christen in der Türkei“

Christen in der Türkei - der „Spiegel“ weiß über sie: „Die Schikanen bewegen sich zwischen bürokratischen Hürden und körperlichen Angriffen.“ Pfarrerin Ursula August hält von solchen oft gehörten (Vor)urteilen gar nichts. August war sechs Jahre lang Pfarrerin der evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Istanbul. Beim Dortmunder Islamseminar hat sie über ihre Erfahrungen berichtet.

„Ich habe es so erlebt, dass wir als christliche Gemeinde fest in der Istanbuler Gesellschaft verankert waren“, erzählt August. Sie spricht sogar von einem „wunderbaren Zusammenleben“, das sich jedoch ab 2015 änderte. Die Pfarrerin zählt auf: Die Gemeinde stand auf der Einladungsliste der Regierung, der Bürgermeister kam bei christlichen Festen zu Besuch, es gab gute Kontakte zum Mufti der Stadt. Ob gemeinsame Gottesdienste anlässlich religionsverschiedener Eheschließungen, Seelsorge im Krankenhaus oder in Gefängnissen – für Ursula August standen überall die Türen offen. „Wir waren geachtet.“

Seit 2015 könne man allerdings eine Spaltung der türkischen Gesellschaft feststellen. „Und die Christen stehen mittendrin.“ Die Einführung eines Präsidialsystems, der Aufstieg des IS, die Beendigung des Friedensprozesses mit der PKK und der Putschversuch im Sommer 2016 führten zu einer gesellschaftlichen Verunsicherung.

Die Folge: Drohungen gegen christliche Gemeinden, Verdacht gegenüber den Kirchen, den Putsch unterstützt zu haben. Im Moment sei die Lage „sehr schwierig“. Doch nach wie vor werde in den großen Städten religiös „plural zusammengelebt“.  „Und noch immer gratuliert uns der Bürgermeister zum Osterfest und zum Weihnachtsfest.“

In Deutschland und auch in die Türkei, die der Pfarrerin eine zweite Heimat geworden ist, sieht August es als Aufgabe der jeweiligen Mehrheitsreligion, für die Minderheitsreligionen einzutreten und sie zu schützen. Die Menschenrechte müssten für alle Bewohner eines Landes gelten, unabhängig von ihrer religiösen oder politischen Überzeugung. „Der Glaube an den einzigen Gott verlangt, dass wir die Würde und das Lebensrecht eines jeden Menschen bewahren.“

Die heutige Türkei war das Stammland der frühen Christenheit. Auch in der frühen Neuzeit lebte hier noch eine starke Minderheit von Christen und Juden. Heute machen die Christen nur 0,1 Prozent der sunnitisch geprägten islamischen Gesellschaft aus. Die türkische Verfassung gewährt eine individuelle Religionsfreiheit. Alle Bürger sind unabhängig von ihrem Glauben vor dem Gesetz gleich. Eine kollektive Religionsfreiheit ist jedoch in der Verfassung nicht verankert. Neben dem Islam sind nur die griechisch-orthodoxe Kirche und die jüdische Kultusgemeinde staatlich anerkannt. Alle anderen Gemeinden oder Kirchen sind toleriert.

Foto: Stephan Schütze
Pfarrerin Ursula August (2.v.r.) referierte beim Dortmunder Islamseminar über ihrer Erfahrungen in der christlichen Gemeinde in Istanbul. Foto: Stephan Schütze