26.02.2018

Zum Wohl der Menschen

Als Notfallseelsorger auf dem Rettungswagen

Notfallseelsorge – noch vor gut einem Jahrzehnt fast exotisch, mittlerweile fest verankert und ein wichtiger Arbeitsbereich der Kirchen. Auch in Dortmund ist die NFS (so die Abkürzung) gut aufgestellt. Neben der häuslichen Notfall-Seelsorge erscheint die „Sondergruppe Großschadenslagen“, auch „Unfalldienst“ genannt, mittlerweile unverzichtbar, eng vernetzt mit dem Notfall-Team der Feuerwehr. Hartmut Neumann, der selbst seit etlichen Jahren in der Notfallseelsorge engagiert ist hat jetzt ein Angebot zu einem Praktikum auf einem Rettungswagen (RTW) der Dortmunder Berufsfeuerwehr spontan akzeptiert. Hier seine Erfahrungen, die der langjährige Reinoldi-Pfarrer während seines zwölfstündigen Einsatzes sammeln konnte.

Da stehe ich vor der Feuerwache 2 an der Lütge Heidestraße hinter dem Ausbildungszentrum der Feuerwehr in Eving. Es ist 11.30 Uhr, eine halbe Stunde vor Dienstbeginn. Freundlich werde ich an diesem trüben Januartag aufgenommen, empfange die Dienstkleidung und den kleinen „Piepser“, werde eingewiesen in die Örtlichkeit der modernen Wache, nehme die Fahrzeuge des Löschzugs, der Tauchergruppe, den Betreuungsbus, die Notarzt-PKWs sowie die übrigen Autos des Rettungsdienstes wahr. Besonders interessant ist der ITW, eine fahrbare Intensivstation, der gerade vorbereitet wird für einen Transport nach Attendorn.

Wir überzeugen uns davon, dass „unser“ Rettungswagen komplett ausgestattet ist. Dann treffen wir uns zum Appell mit der Wachabteilung, die mittags für 24 Stunden ihren Dienst beginnt. Die Aufgaben werden verteilt, Kai von der Feuerwehr Hannover und ich werden vorgestellt. Wir fühlen uns sofort akzeptiert, aufgenommen in die „Feuerwehr-Familie“. Jetzt heißt es warten auf den ersten Alarm. Wir sitzen im Aufenthaltsraum und reden miteinander. Ein Schluck Limonade, ein Biss ins mitgebrachte Brötchen. Plötzlich piepst der Melder, der sich am Gürtel meiner Einsatz-Kleidung befindet. Carsten, David und ich rennen in die Fahrzeughalle. Aus dem Drucker laufen Informationen zum ersten Einsatz sowie eine Anfahrt-Beschreibung. Einsatzjacke und Handschuhe sind schnell übergezogen. Das große Tor öffnet sich und die Fahrt beginnt, zunächst nur mit Blaulicht, dann auch mit Martinshorn über die Evinger- Münster- und Leopold- Straße in Richtung Dietrich-Keuning-Haus.

„Krampfanfall“ lautet das Stichwort auf dem DIN-A-4-Zettel, der den Einsatzort näher beschreibt.  Als wir dort eintreffen, ist Notärztin Fatma mit Rettungssanitäter Philipp bereits vor Ort. Ein Mann liegt auf dem Parkweg. Die Blutung im Bereich des Mundes ist zum Stillstand gekommen. Mit vereinten Kräften legen wir den schwergewichtigen Patienten auf die Trage, bringen ihn in den Rettungswagen, wo weitere Untersuchungen und Behandlungen erfolgen. Gleichzeitig werden Angaben zur Person erfragt. Es geht zum Klinikum Mitte in die Beurhausstraße. Wir übergeben ihn in der Not-Aufnahme an das Krankenhaus-Personal, bereiten danach den RTW für weitere Einsätze vor, kontrollieren den Medikamenten-Bestand, legen eine neue Decke auf die Trage, melden uns bei der Leitstelle wieder einsatzklar.

Und schon geht es auch weiter zur „Evinger Mitte“: Hilflose Person nach Sturz auf dem Bürgersteig. Carsten und David nehmen die Trage, ich habe das EKG in der Hand. Die blutunterlaufene Beule oberhalb des Auges sieht bedrohlich aus. Der junge Mann erzählt mir von starken Kopfschmerzen, sagt, dass er im betreuten Wohnen zuhause ist. Wir nehmen ihn mit zum K5, wie Insider das Klinikum Nord nennen.

Anschließend führt der Weg zurück zur Wache. Zeit für einen Kaffee, für Formalitäten, die nach jedem Einsatz nötig sind, Zeit für einen Informationsaustausch mit der Besatzung des zweiten Rettungswagens, der vor einer Stunde in Dienst genommen wurde. In der Innenstadt ist Hektik. Deshalb wurde dieser zeitweise an die Wache 1 „ausgeliehen“.

Nebenan in der Küche sind fünf Feuerwehrmänner damit beschäftigt, das Abendessen vorzubereiten: Gemüsesuppe mit Würstchen und Fleisch. Ein geschmackfördernder Duft steigt in die Nase. Doch noch können wir nicht kosten: „Atembeschwerden in Lindenhorst“. Die 75-jährige demente Patientin müssen wir mitnehmen, versehen mit einer Atem-Maske, über die Sauerstoff zugeführt wird. Erneut steuern wir das Klinikum Nord an. Mittlerweile ist es dunkel geworden.

Wir fahren zur Wache und nutzen die Verschnaufpause zum Abendessen. Aber der Teller ist noch nicht leer, da regt sich erneut der „Pieper“ an meinem Gürtel. Kurz  nach 20 Uhr geht es  wieder aufs Auto: „Luft-Probleme“ werden gemeldet. Wir nehmen das gesamte Equipment mit in die Wohnung. Die ausländische Mitbürgerin berichtet von zu hohem Blutdruck, den sie ständig mit ihrem kleinen Messgerät kontrolliere. Die Anzeigen auf unserem Monitor zeigen weniger bedrohliche Werte. Wir versuchen sie zu beruhigen und ermutigen sie, die Medikamente nach Anordnung des Arztes regelmäßig zu nehmen und mehr Flüssigkeit zu konsumieren. Familienangehörige unterstützen uns, sagen zu, sich um die Frau zu kümmern. Wir fahren ohne Patientin zur Wache zurück.
Langsam ist es  22.30 Uhr, als wir nach all den Einsätzen den RTW-Standort an der Lütge Heidestraße wieder erreichen. Die Ablösung ist bereits in den Startlöchern. Wir müssen jetzt einfach noch ein wenig miteinander reden, einiges zu Papier bringen, auch ein Stück abschalten.

Wichtig war es, einen Arbeitsalltag im Rettungsdienst kennengelernt und dabei erfahren zu haben, dass Retter und Notfallseelsorger in einem Boot sitzen – zum Wohl der Menschen, die sich in bedrohlichen Situationen befinden und dabei auf unterschiedliche Hilfen angewiesen sind. Dabei orientieren wir uns am uralten christlichen Auftrag, nicht allein schöne Worte zu machen oder gar wegzusehen, sondern zuzufassen, wenn immer Zufassen geboten ist. Und wir erfahren, dass es gut tut, nicht nur um sich selbst zu kreisen, sondern auch für andere da sein zu dürfen.



Foto: Feuerwehr
Treffen in der Not-Aufnahme des Klinikums Mitte: Philipp Büchter, David Winkelkotte, Hartmut Neumann, Notärztin Fatma Topcuoglu, Carsten Tripp (v.l.) Foto: Feuerwehr