27.01.2023

„Demokratie ist kein Selbstläufer“

Christinnen und Christen in Dortmund positionieren sich immer wieder neu gegen rechtes Gedankengut / Zehn Jahre Arbeitskreis

Von Nicole Schneidmüller-Gaiser

Dass der Arbeitskreis „Christ*innen gegen rechts“ seit zehn Jahren existiert, existieren muss, ist eigentlich kein Grund zum Feiern. Und das Engagement der Kirche gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus ist genau genommen auch schon viel älter als zehn Jahre. Dass der Arbeitskreis in diesen Tagen zu einer Feierstunde geladen hat, macht dennoch Sinn: Es liegt quasi in der DNA der Akteure, sich immer wieder zu Wort zu melden und so zu zeigen: Wir sind da, wir werden nicht müde und wir sind viele. Friedrich Stiller, im Evangelischen Kirchenkreis Dortmund als Pfarrer im Referat für gesellschaftliche Verantwortung immer wieder aktiv am Thema, zieht eine Zwischenbilanz.

Dass sich Christinnen und Christen gegen rechts engagieren, hat sicher nicht erst mit dem Arbeitskreis vor zehn Jahren begonnen. Wie kam es zur Gründung?

In der Tat: Wir sind als Kirche in Dortmund schon seit 2000 am Thema, seit dem bundesweiten „Aufstand der Anständigen“. Die Nazi-Szene formierte sich ab 2002 in Dortmund neu, doch zu dem Zeitpunkt gab es hier auch schon eine Gegenbewegung. Damals wurden von uns immer wieder Demos organisiert. 2005 haben wir dann ein stadtweites Bündnis mit anderen Organisationen gegründet.  Nach und nach merkten wir, dass man auf den Demos immer wieder bekannte Gesichter aus den Gemeinden trifft. Weil wir wollten, dass man die evangelischen Christ*innen auch sieht, haben wir zunächst kleine Fahnen für die Demos produziert. Aber schließlich wollten wir die Akteur*innen aus den einzelnen Gemeinden auch außerhalb der Demos vernetzen. Unser Grundgedanke war: Nach innen vernetzt, nach außen sichtbar!

Welche Aufgaben hat sich der Arbeitskreis in der Folge gegeben?

Am Anfang standen Information und Austausch. Unsere Grundannahme war: Wenn sich in jeder Gemeinde drei oder vier Leute engagieren – ist das schon eine ganz ordentliche Gruppe. Das gibt ein gutes Gefühl, zu spüren: Wir sind viele und wir sind nicht allein! Diese Menschen haben wir zunächst in Foren drei bis viermal pro Jahr zusammengebracht. Doch wir merkten schnell: Zum reinen Austausch müssen wir uns gar nicht treffen, die Akteur*innen kennen sich eh - lasst uns inhaltlich arbeiten. Heute haben wir mehr als einhundert Mitglieder, genau wie wir es gehofft hatten. Außerdem sind neun Kirchengemeinden und der Synodalverband der Frauenhilfe dabei.

Wie ging es dann weiter?

Spätestens ab 2015 wollten und mussten wir den Attacken und Übergriffen auf Flüchtlingsheime etwas entgegensetzen. Wir haben dezentral Mahnwachen organisiert, haben uns ganz praktisch zwischen die Nazis und die Flüchtlingsheime gestellt – und dabei neu die Mobilisierungsfähigkeit des Arbeitskreises erlebt. Da kamen dann 20, 30, Leute zusammen. Bei Veranstaltungen wurden wir sichtbarer, haben unser Banner produziert mit dem Motto: Unser Kreuz hat keine Haken. So zeigen wir Gesicht. Und auch andere Kirchenleute versammeln sich dahinter.

Wie würden Sie die Arbeit des Arbeitskreises heute beschreiben?

Es ist doch relativ leicht, sich gegen Rechtsextremismus zu positionieren. Der Slogan „Unser Kreuz hat keinen Haken“ stellt das klar. Doch Rechtspopulismus ist viel tiefer in die Mitte der Gesellschaft eingesickert. Davon können auch wir uns als Kirche uns nicht freisprechen . Darum wollen wir genau hinschauen: Wo sind anti-demokratische Grundhaltungen, wo entdecken wir Antisemitismus oder Islamophobie, wie begegnen wir Fremdenfeindlichkeit? Denn diese Themen bieten „Anknüpfungspunkte“ für rechtes Gedankengut, die die Demokratie gefährden können. Statt uns selbst zu feiern, beschäftigen wir uns zu unserem 10-jährigen als Arbeitskreis mit einer Studie, die die Einstellungen von Christ*innen zu Demokratie und Toleranz untersucht hat.

Warum das? Hat der Kirchenkreis da Defizite?

Wir dürfen uns nicht davor drücken, uns selber zu betrachten. Wir sind als Kirche auch „Mitte der Gesellschaft“ – und dort gibt es auch Intoleranz und Vorurteile. Die EKD-Studie zeigt: Protestantinnen und Protestanten stehen der Demokratie überdurchschnittlich positiv gegenüber und haben eine höhere Akzeptanz Fremden gegenüber als der Durchschnitt. Doch bei Gender und Diversity tut Kirche sich schwer. Die „klassische“ Familie spielt in unseren Kreisen eine wichtige Rolle, da sind wir eher konservativ. Umso wichtiger scheint es mir, dass wir das Handeln des Arbeitskreises fest im Kirchenkreis eingebettet haben. Wir laden regelmäßig zur Diskussion ein, erarbeiten kirchliche Stellungnahmen und bereiten sogar Beschlüsse für die Synode vor. Der Arbeitskreis ist doppelt legitimiert – durch die Anbindung an das Referat für Gesellschaftliche Verantwortung, und durch die Einbindung in die synodale Struktur.

Machen Sie sich Sorgen um unsere Demokratie?

Rechtspopulismus ist eine weltweite Erscheinung – uns wird zunehmend bewusst, dass wir unsere Demokratie verteidigen müssen. Die Demokratie ist kein Selbstläufer. Darum setzen wir als Arbeitskreis sehr konkret an: Wir organisieren Aktionstage für Konfirmand*innen im Rathaus. In unseren Zivilcourage-Trainings kann man die Begegnung mit Nazis einüben, sich mit den eigenen Ängsten beschäftigen und das eigene Verhalten stärken. Und wir haben einen Stadtrundgang zu Rechtsextremismus und zur Gegenwehr der Stadtgesellschaft konzipiert, den wir jetzt auch im Programm von Stadtpilgern anbieten. So wollen wir vor allem vermitteln: Alle können etwas tun. Wir als Kirche, der Arbeitskreis, jeder einzelne Mensch.

Foto: Stephan Schütze
Zehnjähriges Bestehen feierte der Dortmunder Arbeitskreis Christ*innen gegen Rechts mit vielen Gästen im Januar 2023.
Foto: Stephan Schütze