02.04.2023

Konzentration auf das, was wichtig ist im Leben

Fasten im Islam und Christentum: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

„Ich bin dann mal weg … Fastenzeit!“ Ohne Vorankündigung verschwand die protestantische Freundin am Aschermittwoch aus allen sozialen Netzwerken. Facebook, Instagram – sieben Wochen lang, bis Ostern, will sie nun bewusster mit ihrer Zeit umgehen und lässt Handy und Laptop in der Freizeit ausgeschaltet. Die muslimische Freundin bereitet sich derweil mit Extra-Gebeten auf den Ramadan vor – der „heilige Monat“ beginnt in diesem Jahr am Abend des 22. März und endet am 21. April.

Fastenzeiten haben eine lange Tradition – nicht nur im Christentum, sondern auch im Judentum, im Islam und in weiteren Religionen. Stets haben Fastenperioden ein ähnliches Ziel: Der Verzicht soll Raum für geistliche Erfahrungen schaffen. Doch ist Fasten gleich Fasten? Ein Interview von Nicole Schneidmüller-Gaiser mit dem evangelischen Pfarrer Friedrich Stiller und mit der Muslima Dr. Naciye Kamcili-Yildiz beschäftigt sich mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden.

Was bedeutet die Fastenzeit in Ihrer Religion praktisch? Welche Regeln sind fix und welche Freiheiten hat der/die Gläubige beim Fasten?


Das Fasten im Monat Ramadan ist eine der fünf Säulen des Islam und ist eine Unterbrechung des Alltags: Gesunde und erwachsene Muslim*innen sind angehalten, auf Essen, Trinken, Rauchen, aber auch sexuelle Aktivitäten, also alles, was vermeintlich Leben generiert, von der Morgendämmerung bis Sonnenuntergang zu verzichten. Die Zeit, die man nun tagsüber gewonnen hat, wird u. a. auf spirituelle Praktiken, wie etwa mit dem täglichen Koranlesen gefüllt.


Im evangelischen Bereich gibt es keine Regeln für Fasten, wer es tut, macht es freiwillig. Neuen Aufschwung hat die Praxis aber seit einigen Jahren durch die Aktion „7 Wochen ohne“ bekommen. In den Wochen der traditionellen Fastenzeit wird auf etwas verzichtet, das wir zwar gerne haben, aber das uns vielleicht nicht guttut. Schokolade, Alkohol oder Zigaretten sind die Klassiker. In letzter Zeit ist die Idee noch erweitert worden zum sogenannten Klimafasten. Der freiwillige Verzicht wird da mit der Idee des Klimaschutzes und einer nachhaltigen Lebensführung verbunden. Man kann dann beispielsweise in der Zeit aufs Autofahren verzichten. Oder aufs Fleischessen.

Was steckt denn theologisch hinter der Einstellung zum Fasten? 


Der Koran berichtet, dass die Offenbarung des Korans im Monat Ramadan begann (Sure 2, Vers 185). Die Fastenzeit ist also eine Erinnerung an diese besondere Erstbegegnung zwischen Muhammad und dem Erzengel Gabriel in der Höhle Hira, in der Nähe der Stadt Mekka. Man könnte auch sagen, im Ramadan liegt der Geburtstag des Koran. In diesem Sinne kann das Fasten als die Öffnung des Gläubigen für eine neue Freiheit, der Hingabe für Gott verstanden werden.


Martin Luther und die Reformation haben das Fasten als Pflicht abgeschafft. Das galt ihnen sonst als werkgerecht. Stattdessen wurde die Zeit vor Ostern als Passionszeit verstanden. Das dient dann auf anderem Weg einem ähnlichen Zweck wie das Fasten, nämlich der religiösen Vertiefung, der Konzentration auf das, was wichtig ist im Leben, hier auf das erlösende Leiden und Sterben Jesu Christi. Luther soll allerdings freiwillig doch gefastet haben. Schließlich hat Jesus selbst auch gefastet. Die katholische Kirche hält übrigens bis heute am Fasten fest.

Viele Gläubige verzichten auf den Verzicht – ist Fasten noch zeitgemäß?


Das Fasten ist zeitgemäßer denn je. Durch den bewussten Verzicht haben Gläubige die Möglichkeit, innere Freiheit zu erfahren, sich bewusst auf Gott und die eigentlichen Ziele im Leben zu besinnen. Man kann den Ramadan auch als die kritische Zeit zu unserer Lebenshaltung verstehen, indem der Mensch die Möglichkeit erhält, sich selbst und die Umwelt aus einer neuen Perspektive wahrzunehmen.


Die Wiederentdeckung des Fastens in unseren Tagen auch in der evangelischen Kirche als gezielter und freiwilliger Verzicht richtet sich gegen den übermäßigen Konsum. Sie führt zu der Frage: Was brauche ich wirklich – und was brauche ich eigentlich nicht. Das ist in einer Gesellschaft des Überflusses eine wichtige Bremse und sicher zeitgemäß. Beim Klimafasten kann es noch ein Beitrag gegen den Klimawandel sein – aktueller geht es nicht. Außerdem erinnert es angesichts zunehmender Säkularisierung an die Dimension der Tiefe: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Für den Interreligiösen Dialog ist diese Neuentdeckung des Fastens bei den Evangelischen auch deshalb gut, weil wir uns dadurch in Fragen der religiösen Praxis näherkommen.

Der „Dienst am Nächsten“, Spenden oder die Umwelt spielen neben dem Verzicht ebenfalls eine Rolle während der Fastenzeit. Was hat es damit auf sich?


Ramadan ist in muslimischen Gesellschaften auch die Zeit der Spenden, um bedürftigen Menschen die Fastenzeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Dazu zählt auch der Iftar, das gemeinsame Fastenbrechen. So hat sich in den letzten Jahren in vielen Moscheen die Tradition etabliert, dass dort jeden Abend ein Iftar organisiert wird, dessen Kosten von Gemeindemitgliedern übernommen werden. Dorthin sind alle Menschen eingeladen, ob Muslim, Nichtmuslim, Fastende wie Nichtfastende. Gerade darin zeigt sich die gelebte Solidarität, deren soziale Dimension nicht zu unterschätzen ist.


In der Wiederentdeckung des Fastens sind der Blick zum Nächsten und die Sorge um die Schöpfung genuin enthalten. Der freiwillige Verzicht auf Genussmitteln kann auch den Blick für die Lebenssituation der Menschen in Armut schärfen. Im Klimafasten wird dies noch mit der Bewahrung der Schöpfung verbunden. Da geht es dann nicht mehr nur um Veränderungen in meinem Leben, sondern um Verantwortung für andere und die Welt.

Was finden Sie am „Fasten der anderen“ gut?


In der evangelischen Tradition ist das Fasten aus meiner muslimischen Perspektive eine Möglichkeit, sieben Wochen lang anders zu leben, den Alltag und liebgewonnene Gewohnheiten zu unterbrechen bzw. sich von ihnen zu distanzieren. Daher ist das Fasten eine gute Möglichkeit, um spirituelle Erfahrungen auszutauschen und uns gegenseitig zu stärken, und um die in der Fastenzeit erlebte Achtsamkeit in unseren Alltag zu integrieren.


Der Ramadan als bis heute wirksame muslimische Tradition beeindruckt in seiner Konsequenz. Viele Muslime tun es auch bei uns in der Diaspora, sie bekennen sich dadurch öffentlich zu ihrem Glauben und ihrer Tradition und stärken sich zugleich gegenseitig. Außerdem ist der Ramadan mit einer starken Gemeinschaftskomponente verbunden. Wir erleben das immer wieder, wenn wir Gäste beim Iftar, also beim Fastenbrechen sein dürfen.

Fastenbrechen

  • Der Rat der Muslimischen Gemeinden Dortmund lädt ein zum
    Fastenbrechen am Mittwoch, dem 19. April um 19 Uhr
    ins Dietrich-Keuning-Haus. 
Foto: privat
Foto: privat