Geht es nur mir so? Irgendwie muss ich immer wieder auf den Countdown über der Tür schauen. Bei Lösegeldforderungen kommt der zum Einsatz. Das allein ist schon aufregend. Und fast rechne ich damit, dass Kommissar Faber gleich zur Tür reinkommt – oder wenigstens Eduard Zimmermann, denn so ein bisschen erinnert der Raum an „Aktenzeichen XY… ungelöst“. Betriebsbesuch bei der Dortmunder Polizei. Im Spätsommer macht sich der Evangelische Pfarrkonvent, also die Gruppe der Pfarrerinnen und Pfarrer des Evangelischen Kirchenkreises, regelmäßig hinaus in die Welt und besucht heimische Betriebe und Arbeitsplätze. Heute ist das Dortmunder Polizeipräsidium dran – und eh wir uns versehen, sitzen wir um eine Tischlandschaft im „Einsatzführungsraum“, an der Jesus einen Großteil seiner Speisung der 5000 hätte erledigen können …
Die Bildzeitung war schon da, und auch die Ruhr Nachrichten haben den großen Tagungssaal im Polizeipräsidium an der Markgrafenstraße schon fotografiert. „Von hier aus werden alle großen Versammlungslagen koordiniert“, erklärt unser Gastgeber, der stellvertretende Polizeipräsident Ralf Ziegler. Wenn die Beamtinnen und Beamten hier zusammenkommen, wird es ernst: Entführungen, Erpressungen, Steinewerfer an der Autobahn – aber auch die Polizeieinsätze beim Revierderby oder beim Kirchentag 2019 wurden und werden an diesem Tisch bearbeitet. Viel Technik, Telefone, Laptop-Anschlüsse, Bildschirme an jeder Wand des Raumes für freie Sicht aus jedem Blickwinkel - und auch ein fast schon anachronistisch anmutendes Faxgerät gehören zur Ausstattung des Raumes. Doch das Wichtigste sind wohl die Menschen, die an diesem Tisch zusammenkommen. Polizistinnen und Polizisten aus verschiedenen Bereichen und Dienststellen, die ihr Fachwissen, ihre Erfahrung und manchmal auch ihren Instinkt einbringen, um einen Fall so schnell wie möglich zu lösen, um eine Situation zu deeskalieren und um Schaden von den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt abzuwenden.
Ein paar Zahlen: 2344 Polizeivollzugsbeamt*innen, 90 Verwaltungsbeamt*innen und 368 Regierungsbeschäftige kümmern sich um das Wohl der gut 600.000 Dortmunder*innen. 1860 Kilometer Straße und 535 Kilometer Autobahn gilt es zu kontrollieren und ein Gebiet, das sich über 280 Quadratkilometer erstreckt. Allein im vergangenen Jahr gab es 244.902 Einsätze in Dortmund; davon mehr als 55.000 Straftaten und etwa 20.000 Verkehrsunfälle.
Was macht das mit den Menschen, die für unsere Sicherheit zuständig sind? Wie lebt man mit den unregelmäßigen Arbeitszeiten und damit, nie zu wissen, was einen am Einsatzort erwartet? „Neulich hatten wir eine junge Auszubildende bei einem Einsatz auf der Autobahn. Eine dramatische Situation, die Bergung war extrem schwierig, ein Pkw-Fahrer war eingeklemmt. Sie hielt ihm die Hand, während er starb“, erzählt Ralf Ziegler – und man spürt, dass es auch nach vielen Jahren im Dienst noch Momente gibt, die nahegehen. Darum spielt auch Seelsorge eine wichtige Rolle im Polizeidienst – Pfarrerin Stefanie Alkier-Karweick sitzt mit am Tisch, gehört auch sonst zum Team und steht den Polizist*innen zur Seite. Seit 60 Jahren gibt es einen Vertrag zwischen den Kirchen und dem Land NRW, der die Polizei-Seelsorge sicherstellt – da ihre Stelle nicht refinanziert wird, kann Stefanie Alkier-Karweik unabhängig ihren wichtigen Dienst tun. „Einsätze mit Kindern gehen den meisten besonders unter die Haut“, erzählt sie mit nachdenklicher Stimme. Und auch das Überbringen von Todesnachrichten sei für die Kolleg*innen immer eine schwere Aufgabe. „Wenn sie dann mit den fassungslosen Angehörigen zusammensitzen, sind das Momente, an denen die `Seelenschwarte´ brüchig wird …“
Durch Torsten Seiler, dem Kreisvorsitzenden der Polizeigewerkschaft, kommen mehrere von Ihnen beim Termin zu Wort – er hat sie zu ihren Sorgen und Nöten, zu ihrer Berufszufriedenheit und zu den besonderen Belastungen befragt. Beeindruckend ist, dass sie übereinstimmend betonen, sie würden jederzeit wieder Polizist*in werden – auch wenn z.B. die Gewalt gegen die Polizei zugenommen habe. Sich anspucken, beschimpfen und provozieren zu lassen – kann man lernen, damit umzugehen? „Ich denke, dass die KollegInnen in der Öffentlichkeit überwiegend positiv wahrgenommen werden“, ist Polizeipräsident Ralf Ziegler überzeugt. Und doch ergänzt er: „Der Respekt ist verloren gegangen.“
Da nickt der ein oder andere Pfarrer, die ein oder andere Theologin. Und entdeckt nach dem dreistündigen Termin vielleicht mehr Gemeinsamkeiten zwischen Polizist*in und Pfarrer*in, als erwartet …
Von Nicole Schneidmüller-Gaiser