Unfassbar sei das Elend gewesen, das sie auf den Straßen von Kathmandu und in den Tempelanlagen sah. In den Augen der Menschen standen Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Mit diesen Worten beschreibt Marianne Großpietsch während des Dankgottesdienstes zum 30-jährigen Bestehen der Shanti-Leprahilfe e. V. in der Stadtkirche St. Reinoldi ihre allerersten Eindrücke in Nepal.
Anfang der 1970er-Jahre reiste sie zum ersten Mal in den Himalayastaat, um dort gemeinsam mit ihrem Ehemann ihr Patenkind Puskal zu besuchen. Puskals Eltern waren an Lepra erkrankt und lebten mit ihrem Sohn als „Aussätzige“ und von der Gesellschaft verstoßen in einem Getto für Leprakranke. Medizinische Versorgung? Fehlanzeige. Lepra gilt auch heute noch, ebenso wie körperliche und geistige Beeinträchtigungen, in Nepal als Strafe der Götter. Erwachsene wie Kinder werden vor den Nachbarn versteckt, angekettet, vergessen. „Da wurde mir klar, hier muss ich helfen.“ Doch es sollten noch einige Jahre vergehen, bis sie ihre Pläne in die Tat umsetzen konnte.
Fast 20 Jahre nach ihrem ersten Besuch in Nepal gründete die heute 78-Jährige 1992 mit Gleichgesinnten den Verein Shanti-Leprahilfe e. V. Mit Erfolg, wie es Barbara Brunsing, stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Dortmund, in ihrem Grußwort formuliert. „Shanti-Leprahilfe hat sich zur größten Hilfsorganisation in Nepal entwickelt“, sagte sie. Die Stadt Dortmund könne dafür dankbar sein. Heike Proske, Superintendentin im Evangelischen Kirchenkreis Dortmund, konnte nicht anwesend sein. An ihrer Stelle verliest Pfarrerin i. R. Christa Schaaf ihr Grußwort. Darin heißt es: Mit Familie, sei nicht die Kernfamilie gemeint, sondern eine Schutzfunktion, die Gemeinschaft biete. Menschen fänden darin einen geschützten Raum. Zu der Shanti-Familie passe diese Definition hervorragend. Shanti-Leprahilfe sei eine feste Größe im Kirchenkreis, geschätzt und bewundert. „Danke, Marianne, dass du für dieses Projekt einstehst.“
Danke sagt auch Renate Kotz, Gründerin von Re: Help e. V. Der Verein arbeitet seit zehn Jahren in Rapcha, einem abgelegenen Dorf in Nepal. Da es im Dorf keine ärztliche Versorgung gebe, wollte der Verein ein Gesundheitscamp organisieren, erklärte Renate Kotz. Mit der Bitte um Hilfe wandte sie sich an Shanti. Für Marianne Großpietsch sei die Hilfe selbstverständlich gewesen. „Kein Problem, Schätzelein“, war Großpietschs Antwort auf die Anfrage von Kotz. Und so schlug im November vergangenen Jahres das nepalesische Ärzteteam der Shanti-Leprahilfe für zwei Tage seine Zelte in Rapcha auf. Rund 900 Patienten seien behandelt worden. Viele von ihnen seien zum ersten Mal in ihrem Leben ärztlich behandelt worden. Für die unkomplizierte Hilfe und die warmherzige und emphatische Behandlung der Menschen sei sie – Kotz – Marianne Großpietsch und dem Ärzteteam dankbar.
Aus der ursprünglichen Idee, Leprakranken ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, entwickelten sich für die Shanti-Leprahilfe im Laufe der Jahre immer mehr Arbeitsfelder. Heute gehören zahlreiche Projekte zur Shanti-Familie, die in Zusammenarbeit mit dem nepalesischen Partnerverein „Shanti Sewa Griha“ realisiert werden. Selbstverständlich werden immer noch an Lepra erkrankte Menschen behandelt. Und den Menschen, die von der Krankheit gezeichnet sind, bietet Shanti eine Unterkunft und sinnvolle Beschäftigung. In der Ambulanz und in der Hape-Kerkeling-Klinik in Kathmandu können sich Kranke aus dem ganzen Land behandeln lassen. Sterbende finden im Hospiz liebevolle Betreuung. Die Klinik trägt den Namen des Künstlers, weil seine Spende von 500.000 Euro an die Shanti-Leprahilfe ging. Das Geld gewann Kerkeling beim Prominenten-Special von „Wer wird Millionär“.
Für die Kleinen gibt es zwei Kindergärten. Ältere Kinder gehen in die integrativ angelegte Shanti-Schule. Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam. Das Waisenhaus bietet Kindern, die keine Eltern mehr haben oder von ihnen verstoßen wurden, ein neues Zuhause. Gerade Kinder mit Behinderungen werden zu Shanti gebracht. Aber auch Mädchen, die niemand haben will. „Für Mädchen müssen die Eltern später eine Mitgift bezahlen“, weiß Marianne Großpietsch. Geld, das viele Familien nicht haben.
In den Werkstätten finden die Menschen sinnvolle, ihren Fähigkeiten entsprechende Arbeit. Weben, Schreinern, Papierarbeiten, Maitili-Malerei (Maitili ist ein Volksstamm aus dem Süden Nepals), Schmuckherstellung und Handarbeiten gehören dazu. Und für die Schneiderei gibt es auch immer Arbeit. „Die Polizei und das Militär spenden alte, ausgemusterte Zelte“, erzählt Großpietsch. Daraus wurden Rucksäcke für die Schulkinder genäht. „Kein Kind sollte mit den Büchern unter dem Arm zur Schule gehen.“ Aber auch für alte, in den Augen ihrer Familie nutzlos gewordene Menschen, sorgt die Shanti-Familie. Marianne Großpietsch berichtet von einer 89-jährigen Frau, die sich umbringen wollte, weil sie von ihrer Familie verstoßen worden war. Die Shanti-Familie nahm sie auf. „Heute tanzt sie mit den Kindern.“
Marianne Großpietsch, die sich selbst in einem Filmbeitrag als „Mama vons Ganze“ bezeichnet, denkt noch lange nicht ans Aufhören. Sie sei dankbar dafür, dass sie mit ihren 78 Jahren noch so aktiv mitarbeiten könne.
Die Arbeit der Shanti-Leprahilfe e. V. wird aus Spenden finanziert. Rund 70.000 Euro benötigt der Verein monatlich. Der Verein ist als gemeinnützig anerkannt und stellt auf Wunsch Spendenbescheinigungen aus.
Spendenkonten
- Deutsche Bank, Dortmund,
IBAN: DE42 4407 0024 0177 7713 00
- Bank für Kirche und Diakonie – KD-Bank,
IBAN: DE92 3506 0190 0000 9239 23