08.08.2016 // Stadtrundgang „Kirche und Politik in Dortmund“

500 Jahre Geschichte in zwei Stunden

Nicht weniger als 500 Jahre Geschichte in zwei Stunden gab es beim Stadtrundgang „Kirche und Politik in Dortmund von der Reformation bis heute“.

Stadtrundgang „Kirche und Politik in Dortmund von der Reformation bis heute“

Nicht weniger als 500 Jahre Geschichte in zwei Stunden, nämlich „Kirche und Politik in Dortmund von der Reformation bis heute“, wollten Pfarrer Friedrich Stiller, Referat für Gesellschaftliche Verantwortung im Evangelischen Kirchenkreis Dortmund, und Oliver Volmerich, Redakteur und Vorstand des Historischen Vereins, den etwa 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Stadtrundgangs nahe bringen.

Der Weg führte sie von den Stadtkirchen St. Reinoldi und St. Marien, über Am Trissel, der Verbindung zwischen Westenhellweg und Hansaplatz, dem Platz von Hiroshima und dem Propsteihof in die Umgebung der Thiergalerie, und weiter zum Platz der Alten Synagoge bis in den Stadtgarten. Doch ein Schritt nach dem anderen.

Stadtkirche St. Reinoldi

Friedrich Stiller und Oliver Volmerich wiesen auf die beiden Figuren rechts und links des Chorraumes hin. „Karl der Große gilt als Stadtgründer“, weiß Friedrich Stiller zu berichten. Hier habe er eine „Königspfalz“ angelegt.

Oliver Volmerich erzählte die Legende des Stadtheiligen, der der Kirche ihren Namen gab. In Köln sei er erschlagen und auf einen Wagen gelegt worden. „Wie durch Zauberhand setzte sich der Wagen in Bewegung und hielt erst dort an, wo heute die Reinoldikirche steht.“

Die Reformation hatte in Dortmund großen Rückhalt. Als protestantische Reichsstadt eines katholischen Kaisers führte das, bei allem Bemühen um Neutralität, auch zu Konflikten. So hielten die Patrizierfamilien im Gegensatz zu den Handwerkergilden am katholischen Glauben fest.

In St. Reinoldi saßen die Ratsherren im Chorgestühl neben dem Stadtheiligen. „Sie galten mehr als der Klerus. Sie bestimmten, dass nur ein Dortmunder Pfarrer an St. Reinoldi werden konnte und sie ernannten ihn. Und durch Ratsbeschluss wurden zur Reformation alle vier Dortmunder Stadtkirchen evangelisch“.

Heute sitzt kein Ratsherr mehr im Chorgestühl. Stiller: „Die Vertreter des Rates sitzen heute als Gäste in den Bänken in unserer Kirche.“

Die Kaiserglocke vor St. Reinoldi und das Reinoldiforum
„An der Stelle, wo heute das Reinoldiforum steht, stand bis zur ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg die Heldenkapelle“, erklärte Oliver Volmerich. Eingeweiht wurde sie 1926.

Zerstört wurde auch die Reinoldikirche. An dieses Ereignis erinnert die ehemalige Kaiserglocke, de als Mahnmal gegen Krieg und für Frieden ihren Platz vor der Kirche gefunden hat.

Vor der St. Marienkirche

Dass eine Kirchengemeinde auch politisch Position beziehen kann, zeigt folgende Episode aus der Nazizeit. Stiller: „Nach einer Inhaftierung des Theologen Niemöller beschloss das Presbyterium der Kirchengemeinde St. Marien, für den Geistlichen zu beten.“

Obwohl Nationalsozialist prangerte Niemöller die staatliche Kirchenpolitik an. „Die evangelische Kirche rang um ihr Verhältnis zum NS-Staat“, so Stiller weiter. Die Kirche war „konservativ aber nicht links“ und wehrte sich gegen die „Vermengung von Kirche und Parteipolitik“.

Am Trissel

Auch in Dortmund gab es Hexenverfolgung. Volmerich dazu: „Luther beförderte den Hexenglauben“. In protestantischen Gegenden wurden deutlich mehr Frauen als Männer hingerichtet. Hier stützte man sich auf die Übersetzung Luthers „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen“ (Exodus 22,17). Während es in der katholischen Vulgata-Übersetzung heißt: „die Zauberer sollst du nicht leben lassen“.

So wurden in Gegenden mit überwiegend katholischer Bevölkerung mehr Männer hingerichtet. „Erst im Mai 2014 rehabilitierte der Rat der Stadt Dortmund alle, die der Hexenverfolgung zum Opfer gefallen sind“, ergänzte Stiller. Der Errichtung eines Denkmals für diese Opfer vor der Reinoldikirche sei abgelehnt worden, da die Hexenverfolgung „keine isolierte kirchliche Handlung“ gewesen sei.

Vom Platz von Hiroshima zum Propsteihof

Leicht zu übersehen ist die Bronzefigur „Mutter Hiroshima“. Sie erinnert am Platz von Hiroshima an den Abwurf der ersten Atombombe am 6. August 1945. Ganz in der Nähe stand früher einmal ein Gymnasium. Volmerich: „Die Lehrer und Rektoren hielten auch Predigten in der Kirche.“

In der Reformation waren alle Dortmunder Stadtkirchen evangelisch, also auch die Propsteikirche, damals noch Pfarrkirche „St. Johannes Baptist“. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde sie wieder katholisch. „Interessant ist, dass ein Schienbeinknochen des Heiligen Reinoldus in der Propsteikirche aufbewahrt wird. Das Reliquienhaus in St. Reinoldi enthält nichts mehr von ihm“, meinte Oliver Volmerich.

Kirche und Armut

Armut gab es zu allen Zeiten in Dortmund. Damals wie heute kümmern sich auch die Kirchen um Menschen, die in Not sind. In der Nähe der Thiergalerie gab es die sogenannte „Elende“. Das Hospital „Zum Heiligen Geist“ stand an der Krügerpassage und in der „Funkenburg“ fanden Lepröse Hilfe.

Pfarrer Stiller dazu: „Die sozialen Probleme, die die Industrialisierung mit sich brachte, wurden von der evangelischen Kirche erkannt. Obwohl zunächst als sittliche Probleme wahrgenommen, setzte sich die Erkenntnis durch, dass Krankheit und Armut Folgen der Verhältnisse sind. 1890 fand die erste Sozialkonferenz der evangelischen Kirchen statt. Als Aufgabe stellte sie sich die Überwindung des Klassengegensatzes“.

Platz der Alten Synagoge

Judenfeindlichkeit ist keine Erfindung der Neuzeit. Schon 1596 hatten evangelische Prediger dazu beigetragen, dass Juden aus der Stadt vertrieben wurden. Auch während der Pestepidemie im 14. Jahrhundert galten die Juden als Sündenböcke und wurden vertrieben.

Die Alte Synagoge wurde 1900 eröffnet. 1938 fiel sie nicht den Novemberpogromen zum Opfer, sondern wurde abgerissen.
Stiller: „1945 gründeten 50 Juden in Dortmund eine neue jüdische Gemeinde.“ Dem sei später eine kritische Debatte gefolgt, ob die evangelische Kirche genug gegen die Verfolgung der Juden getan habe. Die hält bis heute an.

Der Rundgang endete an einem Gedenkstein im Stadtgarten. Etwas versteckt bezeichnet er den Standort der alten Nicolaikirche an der Hansastraße. Friedrich Stiller: „Nach der Vereinigung im Jahr 1809 mit der Petrigemeinde fiel die politische Entscheidung, dass die Kirche abgerissen werden soll.“

Foto: Stephan Schütze
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Stadtrundganges vor der Friedensglocke.