27.03.2015 // Menschenfeindliche Einstellungen

Alltagsrassismus und Rechtsextremismus

Sie spricht und schreibt perfekt, war Journalistin in einer der renommiertesten Tageszeitungen Deutschlands und hat als Politikberaterin gearbeitet.

Diskussion über menschenfeindliche Einstellungen in der Gesellschaft

Sie spricht und schreibt perfekt, war Journalistin in einer der renommiertesten Tageszeitungen Deutschlands und hat als Politikberaterin gearbeitet. Und doch sagt sie über sich selbst: „Ich lebe mit einem Gefühl, ein Paria zu sein, mit einem Minderwertigkeitsgefühl.“

Canan Topcu ist deutsche Staatsbürgerin und lebt seit mehr als vier Jahrzehnten in Deutschland. Weil sie „dazugehören wollte“, habe sie früher den „Alltagsrassismus“ nicht wahrgenommen. „Je älter ich werde, desto sensibler werde ich.“

Der Evangelische Kirchenkreis Dortmund hatte u. a. zusammen mit dem Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus und der Evangelischen Akademie Villigst zu einem Abend eingeladen, an dem rund 60 Anwesende über das Thema „Die Zukunft unseres Zusammenlebens angesichts offener Menschenfeindlichkeit“ diskutierten.

So wie ihr, erzählte Topcu, gehe es vielen. Doch die meisten würden ihre Erfahrungen mit der alltäglichen Diskriminierung nicht aussprechen. Prof. Dr. Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung Bielefeld, gab in seinem Vortrag Hinweise auf Ausmaß und mögliche Ursachen dieser Diskriminierung.

Der Zustand der bürgerlichen Mittelschicht sei „fragil“, so Zick. Die Bevölkerung sei weder rassistisch noch antirassistisch, weder fremdenfeindlich noch fremdenfreundlich. Sei sei „ambivalent“. Eine bessere Willkommenskultur für Migranten würden 36 Prozent befürworten, 31 Prozent seien dagegen.

Bei den rechtspopulistischen und islamfeindlichen Demonstrationen der letzten Monate mische sich Elitenkritik mit dem Leitbild eines „nationalen Christentums“, würden Rechtsextreme genauso auftreten wie „einfache Bürger“ und seien diffuse Einstellungen genauso vorhanden wie Wut, Hass, Gewalt. Seine Aufforderung: „Wir brauchen zivilgesellschaftliche Courage.“

Wie es um die Dortmunder Zivilgesellschaft angesichts der Herausforderungen durch die Neonaziszene steht, war Thema eines engagierten Vortrags von Friedrich Stiller, Pfarrer für Gesellschaftliche Verantwortung. Stiller zeigte sich „entsetzt“ über die Haltung von Polizei und vor allem Justiz angesichts der Bedrohungen durch die Rechtsextremen.

Er zählte auf: der versuchte Rathaussturm am Wahlabend, fingierte Todesanzeigen gegen Journalisten, Fackelzug vor einer Flüchtlingsunterkunft, Morddrohungen. „Die, die sich engagieren, geraten ins Fadenkreuz der Rechtsextremen.“ Polizei und Justiz gelinge es nicht, „uns so zu schützen, wie ich es von einem Rechtsstaat erwarte“.

Die Zivilgesellschaft müsse erkennen, dass Staat und Justiz an ihre Grenzen gestoßen sei. „Das Gewaltmonopol des Staates ist unwirksam.“ Seine Schlussfolgerung: „Wir brauchen eine neue Strategie der Zivilgesellschaft.“ Allerdings, so ergänzte er, er sei nicht entmutigt.

Foto: Stephan Schütze
Um die Ursachen für Rassismus, Islamfeindlichkeit und Rechtsextremismus ging es im Reinoldinum. Auf dem Foto (v.l.) Jutta Reiter (DGB), Friedrich Stiller (Evangelische Kirche), Canan Topcu (Journalistin), Prof. Dr. Andreas Zick und von der Evangelischen Akademie Villigst Birgit Weinbrenner, Ralf Lange-Sonntag und Dr. Sabine Federmann.