Von Nicole Schneidmüller-Gaiser
Gefühle beim anderen erkennen – klingt leicht, fällt aber immer mehr Kindern ganz schön schwer. „Empathie funktioniert nur dann, wenn man Zugang zu seinen eigenen Gefühlen hat. Aber zunehmend mehr Mädchen und Jungen haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu verbalisieren …“. Ina Annette Bierbrodt leitet die Evangelische Bibliothek des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund und ist über das angeschlossene Schulreferat im regen Austausch mit Pädagog*innen und Lehrer*innen. Diese machen die Erfahrung, dass die Gruppe der Kinder, die Probleme im Miteinander haben, zunehmend größer wird: „Die Lehrer*innen berichten von Kindern, die nicht mehr gut in den Gesichtern anderer Menschen lesen können.“ Um diese Fähigkeit zu trainieren, gibt es Fachliteratur und pädagogische Materialien. Die können ab sofort auch in der Bibliothek im Reinoldinum (Schwanenwall 34) ausgeliehen werden.
„Montagsmorgens fühle ich mich oft …“ Ina Bierbrodt gähnt herzhaft – und führt ein quadratisches Pappschild vors Gesicht. Die Zeichentrick-Figur auf der Karte hat Sommersprossen, verdächtig kleine Augen und hält sich die Hand vor den Mund: „… müde!“ Na klar. Auch für Wut, Angst, Glück oder Krankheit gibt es Bildmaterial, zusammengestellt in einem liebevoll gestalteten Kartensatz. Bücher wie „Jim ist mies drauf“ oder „Ein Dino zeigt Gefühle“ sollen dem Nachwuchs im Kindergarten- und Grundschulalter ebenfalls dabei helfen, das, was in ihnen vorgeht, in Worte zu fassen – denn diese Fähigkeit ist die Voraussetzung für Empathie.
„Schon kleine Kinder verbringen heute sehr viel Zeit vor digitalen Medien“, weiß Ina Bierbrodt. Diese sind nicht nur optisch eindimensional, sondern sorgen auch dafür, dass aus Handelnden Zuschauer werden: „Da lebt und erlebt man dann nicht selber, sondern nimmt nur noch am fremden Leben teil.“ Corona habe die Defizite beim Nachwuchs noch verschärft, so Bierbrodt – all die Monate des Homeschooling, Verabredungen via Zoom und sogar Balletttraining vor dem PC haben Spuren bei unseren Kindern hinterlassen.
Die Folge: „Die Kinder fühlen zwar etwas, können das aber nicht oder nur schwer in Worte fassen – und in der Folge diese Gefühle beim Gegenüber auch nicht erkennen“, so Ina Annette Bierbrodt. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Daniela Bielefeld hält die Pfarrerin darum Material vor, das nicht nur Pädagog*innen, sondern auch Eltern ausleihen können. „Einfach zu den Öffnungszeiten vorbeikommen, einen Ausweis machen lassen und mitnehmen, was gefällt“, erklären die beiden kirchlichen Mitarbeiterinnen, wie es geht. Schüler*innen, Auszubildende und Studierende bekommen den Ausweis kostenlos, für alle anderen kostet die Mitgliedschaft 15 Euro pro Jahr.
Gibt es sonst noch Tipps? „Lehrkräfte können zum Beispiel kleine Rituale einführen und die Stunde mit einer Frage beginnen: Wie fühlst Du Dich?“, regt Ina-Annette Bierbrodt an. Natürlich ohne Zwang und mit Einfühlungsvermögen. „Bis zur 5. Klasse klappt das eigentlich ganz gut.“