Toben. Endlich mal toben und Krach machen dürfen. Das klingt so banal. Doch als „Schattenkind“, als Bruder oder Schwester eines schwer kranken Kindes, gehört die ständige Rücksichtnahme zum Alltag. Dagmar Petzgen und Michael Cremann kennen die Sorgen von Familien, die eine schlimme Diagnose aus der Bahn wirft. „Für Eltern ist das natürlich ein Schock, wenn sie erfahren, dass das eigene Kind krank ist, sterben wird“, wissen die Mitarbeitenden des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes Löwenzahn in Dortmund. Von Stund an drehe sich alles um die Krankheit, um das kranke Kind, um seine Versorgung, Arzttermine, Ruhephasen. Damit die Familien entlastet werden und auch die Geschwisterkinder nicht untergehen, haben die Fachleute zusätzlich zur Beratung und Begleitung ein Zirkusprojekt ins Leben gerufen, bei dem mal nicht die Krankheit im Mittelpunkt steht – sondern die Freude am Tun, der Spaß am Leben. Finanziell ermöglicht wird das von Spendobel – dem Dortmunder Spendenparlament.
Es ist ein schwülwarmer Abend, als sich im großen Sitzungszimmer des Evangelischen Kirchenkreises an der Jägerstraße knapp 30 Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt treffen, um zuzuhören. Sie alle unterstützen regelmäßig „Spendobel“, das Dortmunder Spendenparlament, das seit seiner Gründung im Jahr 2001 schon mehr als 1,5 Millionen Euro eingeworben hat. Heute kommen sie zusammen, um sich von drei Projekten erzählen zu lassen, die mit ihrer Hilfe in diesem Jahr ermöglicht werden. Sie sehen Bilder von tobenden Kindern im Zirkus Löwenzahn, sie blicken in strahlende Gesichter und sie erfahren aus erster Hand, wie wichtig ihre Spende ist. „In Dortmund gibt es momentan etwa 300 betroffene Familien, die eine Begleitung wünschen“, berichtet Michael Cremann. Nach dem ersten Schock komme für viele der Rückzug aus dem bisherigen Leben. Der Alltag ist plötzlich geprägt von ständiger Rücksicht, einem Leben in Isolation, bei dem kein Tag planbar ist. „Auch die Geschwisterkinder müssen oft zurückstecken, doch als Stars in der Manege dürfen sie glänzen!“
Christiane Wurst, die aktuelle Präsidentin des Spendenparlaments, und Geschäftsführerin Barbara Temminghoff, können an diesem Abend zufrieden sein. Drei Projekte werden im Rahmen einer Rundfahrt vorgestellt; nach dem Vortrag im Kreiskirchenamt geht es mit dem Bus zum Kinderschutz-Zentrum, danach weiter zum Train of Hope Dortmund e. V. Unterwegs wird deutlich, wie wichtig es ist, die SpenderInnen und die Projekte miteinander in Beziehung zu bringen: Die Erzählungen und Fotos haben Eindruck bei den SpenderInnen hinterlassen, sie tauschen sich angeregt über das aus, was sie gehört und gesehen haben: „Das Geld ist hier wirklich gut angelegt.“
Insgesamt 11 Projekte hat das Spendenparlament für eine Förderung ausgewählt; einmal im Jahr kommen dazu 125 Parlamentarier zusammen und beraten über die eingegangenen Anträge. Die Rundfahrt ist, wenn man so will, Rechenschaftsbericht und Akquise in einem. Denn über das, was sie heute sehen und erfahren, werden die TeilnehmerInnen gewiss im Freundeskreis erzählen – und so hoffentlich weitere Spender gewinnen.
Im Kinderschutz-Zentrum angekommen, werden bei einigen Teilnehmerinnen Erinnerungen wach an anstrengende Nächte und die Zeit als übermüdete Mütter. Die „Schreibaby-, Säuglings- und Kleinkindersprechstunde“ unterstützt frisch gebackene Eltern dabei, ihre Kinder besser zu verstehen und so die Ursachen für Schlaflosigkeit und ständiges Weinen herauszufinden. „Wenn mir das damals jemand erklärt hätte“, entfährt es einer Spenderin, nachdem Projektleiterin Christiane Kandler von schneller Hilfe berichtet, wenn erst einmal die Ursache für das Schreien gefunden ist.
Im „Train of hope“ lernen die interessierten TeilnehmerInnen schließlich Tarek kennen, der als minderjähriger, unbegleiteter Geflüchteter 2015 aus Syrien nach Deutschland kam. Gerne würde er jetzt sein Abitur machen, doch dazu fehlt ihm ein Grundwissen im Abifach Englisch – wie sehr vielen Geflüchteten aus arabischen Ländern auch. Darum bietet der Train of hope – mit finanzieller Unterstützung von Spendobel – in ihrer Schreibwerkstatt einen Sprachkurs an, bei dem Englisch auf B1-Niveau das Ziel ist. Auch das Erstellen von Bewerbungsmappen, das Verfassen von Lebensläufen und das Verstehen studienbezogener Sachtexte gehören zu den Angeboten der Schreibwerkstatt, in der die Rundfahrt endet.
„Bitte erzählen Sie über Spendobel und über das, was Sie heute erlebt haben“, gibt Christiane Wurst nach drei Stunden den SpenderInnen mit auf den Weg. Der Bitte werden sie gewiss nachkommen, das spürt man deutlich. Der Grundstock für ein weiteres Spendobel-Jahr ist gelegt …
Nicole Schneidmüller-Gaiser