28.01.2019

Den Himmel mit Händen fassen

Ausstellung in der Bartholomäuskirche erinnert an den Holocaust

Mit 15 hatte Selma ihre Liebe entdeckt. Ihre Liebe, Gedichte zu schreiben. Drei Jahre lang war ihr das vergönnt, bis sie 1942, im Alter von 18 Jahren, im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek ermordet wurde. Selma Meerbaum-Eisinger ist eines der Holocaust-Opfer, denen die Ausstellung dokumentarischer Portraits in der Lütgendortmunder Bartholomäuskirche Namen und Gesicht gibt.

Eröffnet am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, will die Ausstellung ein Beitrag zum „Gedenken an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus“ sein, so Pfarrerin Heike Bährle. „Leben wollt ich“ heißt der Titel der Ausstellung. Er ist einem Gedicht von Selma Meerbaum-Eisinger entlehnt. „Ich möchte leben“, dichtet sie, „ich möchte lachen und Lasten haben und möchte kämpfen und lieben und hassen.“ Die junge Frau konnte kurz vor ihrer Deportation ihre Gedichte einem Unbekannten geben. Über Umwege gelangten sie schließlich nach Israel.

Die Ausstellung, die die Unnaer Künstlerin Sonja Weis (1953 – 2009) bereits 1995, zum 50. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, geschaffen hatte, lässt in einer Portraitreihe von 29 großformatigen Bildern Menschen stellvertretend für die Millionen von Opfern sichtbar werden. Berühmtheiten sind darunter wie der Fotograf Erich Salomon, „Historiker mit der Kamera“, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Oder der Kunstsoziologe und Philosoph Walter Benjamin, der sich auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm.

Aber auch die einfachen Leute „von nebenan“. Armin und Rosy Holländer beispielsweise, in Unna wohnhaft. Er wurde von der Gestapo ermordet, sie kam in Majdanek um. Sonja Weis zeigt in ihren Werken, die meisten sind Graphitzeichnungen, „die Menschen als unverwechselbare Persönlichkeiten“, so der Ausstellungskurator Thomas Kersten.

„Ich fühle mich in der Ausstellung zuhause und bin ein Bewunderer der Portraits von Sonja Weis“, sagte Erich G. Fritz, früheres Mitglied des Bundestages. Er erinnerte bei der Ausstellungseröffnung an das Ziel Hitlers: „Alle Juden in Europa sollten vernichtet werden als Grundlage für die Herrschaft der deutschen ´Herrenrasse` in Europa.“ Das, so Fritz, mache den qualitativen Unterschied zu allen anderen Pogromen aus.

Und Fritz mahnte: „All die, die später nichts gewusst haben wollen, waren vielleicht nicht beteiligte Henker, doch sie haben geduldet, haben still oder auch aktiv assistiert.“  „Das Ganze ist nicht vorbei“, ist seine Warnung. Denn nichts hindere Menschen daran, andere Menschen umzubringen, wenn sie die Macht dazu haben. „Ich möchte den Himmel mit Händen fassen“, schreibt Selma Meerbaum-Eisinger. „Und möchte frei sein und atmen und schrein. Ich will nicht sterben. Nein.“

Foto: Stephan Schütze
Noch bis zum 10. Februar ist die Ausstellung in der Bartholomäuskirche zu sehen. Unser Foto zeigt (v.l.) die Ausstellungsmacher Pfarrerin Heike Bährle, Gerhard Otto, Kurator Thomas Kersten, Wilhelm Mohrenstechter und Elke Otto-Sanio. Foto: Stephan Schütze