13.08.2024

„Die Anrufer*innen werden immer jünger“

Ingrid Behrendt-Fuchs: Als Pfarrerin in der TelefonSeelsorge

Von Carmen Möller-Sendler

„Hier würde ich irgendwann mal gerne die Leitung übernehmen“, dachte sie schon damals, mit 25 als Vikarin bei der TelefonSeelsorge Dortmund – und nicht in einer Gemeinde, wie sonst üblich. Auch die Ausbildung für ehrenamtlich Mitarbeitende hatte die angehende Pfarrerin für dieses Sondervikariat durchlaufen. „Die TelefonSeelsorge war damals schon mein Ziel“, sagt Ingrid Behrendt-Fuchs heute. Doch es passte nicht gleich, und so verbrachte sie die ersten 20 Berufsjahre als Gemeindepfarrerin in der Hagener Stadtkirchengemeinde. „Ich war richtig gern in der Gemeinde, es ist mir dort sehr gut gegangen.“ Sie absolvierte die Weiterbildung zur Gestaltseelsorgerin, durchlief eine Supervisisionsausbildung – und plötzlich war die Leitungsstelle bei der TelefonSeelsorge frei. Es ist ihr letzter Job geworden: In diesem Herbst wäre Ingrid Behrendt-Fuchs 14 Jahre Leiterin der TelefonSeelsorge Dortmund, würde sie nicht zum 1. August in den Ruhestand verabschiedet. „Ich war überrascht, dass das, was ich mir für mein Leben gewünscht habe, Wirklichkeit geworden ist. Der liebe Gott hat mich wohl auf der Stelle haben wollen“, blickt sie zurück, noch immer ein bisschen erstaunt. 

„In meine Zeit fiel unser 50-jähriges Jubiläum, wir haben es groß gefeiert“, erinnert sie sich, „nächstes Jahr ist das Sechzigste.“ Das wird dann schon ihre Nachfolgerin organisieren: Regina Reiffenberg wechselt von der Stadt Bochum zum Kirchenkreis Dortmund, und Ingrid Behrendt-Fuchs ist froh, das Amt in ihre kundigen Hände übergeben zu können. Aktuell sei es mit der TelefonSeelsorge gut bestellt, sagt sie: „Wir können den Stand an Ehrenamtlichen gut halten – obwohl es ein anspruchsvolles Amt ist, das Zeit kostet und obwohl viele unserer Freiwilligen berufstätig sind und Flexibilität brauchen. Trotzdem können wir im Moment die Dienste gut besetzen.“ Damals vor 30 Jahren war das noch anders, als viele Ehrenamtliche nicht berufstätig waren.

Nachwuchssorgen hat sie höchstens aus einem Grund: Das Durchschnittsalter beträgt 60 Jahre, es melden sich nur wenige junge Menschen für die Ausbildung an. Dabei könnte man die so gut brauchen, weil auch die Anrufer*innen immer häufiger jung sind. „Wir haben auch einen Chat und beraten per E-Mail“, sagt Ingrid Behrendt-Fuchs, „und gerade im Chat muss man schnell sein: Man schreibt ja im Dialog, fast wie man spricht, und die Ratsuchenden können schnell tippen.“ Das Fachwort dafür heißt Oraliteralität, erklärt sie, die Kombination von Elementen gesprochener und geschriebener Sprache – wobei es nicht auf geschliffene, wohlformulierte Sätze ankommt, sondern darauf, auch im Chat eine Gesprächssituation herzustellen.

Zurzeit verzeichnet die TelefonSeelsorge Dortmund etwa 11.000 Anrufe pro Jahr. Außerdem 400 Chats und 400 Mail-Anfragen – „was daran liegt, dass wir dafür nicht genügend Mitarbeitende haben“, erklärt die Leiterin, „sonst wären es mehr. Wir versuchen aber immer erreichbar zu sein.“ Ins Leere läuft ohnehin niemand: Sind in Dortmund alle Plätze belegt, wird die Anfrage weitergeleitet. Deutschlandweit gibt es ein großes Netz, allein in Westfalen sind elf TelefonSeelsorge-Stellen. „Wenn bei uns alles besetzt ist, springt der Anruf weiter nach Hagen oder Bochum.“ Für Dortmund sind 75 Männer und Frauen ehrenamtlich im Einsatz sowie hauptamtlich eine Kollegin in der Verwaltung und eine katholische Kollegin. Die TelefonSeelsorge Dortmund befindet sich in evangelischer Trägerschaft.

Was die Hauptaufgabe der Leitung ist? Ganz klar: „Das Finden, Ausbilden und Begleiten von Ehrenamtlichen“, sagt Ingrid Behrendt-Fuchs. Sie selbst ist nicht beratend tätig, macht aber manchmal mit. „Ich muss ja wissen, was los ist, was die Themen sind.“ Die Ehrenamtlichen treffen sich alle drei bis vier Wochen in Supervisionsgruppen und besprechen ihre Erfahrungen am Telefon. Der Dienstplan steht online, man kann sich eintragen, wie es passt. „Wir erwarten im Vierteljahr neun Dienste inklusive eines Nachtdiensts. Tagsüber sind das 3,5 Stunden, nachts insgesamt sieben, die man aber halbieren kann.“  

Ein Gespräch dauert im Schnitt 20 Minuten – manche sind ganz kurz, nur selten werden es anderthalb Stunden. Die meisten Anrufe kommen nachmittags nach 16 Uhr. Warum die Menschen anrufen? „Einsamkeit ist ein immer größeres Thema, das uns noch stark beschäftigen wird – auch schon bei Kindern und Jugendlichen. Vielleicht hat auch jemand gerade die Kündigung bekommen – oder eine Frau ruft an, weil der Mann gerade die Trennung ausgesprochen hat.“ Manchmal sei das Gespräch eher Alltagsbegleitung – etwa für Menschen, die nicht aus ihrer Wohnung kommen: „Auch ihnen leihen wir unser Ohr.“ Und natürlich suchen Menschen mit psychischen Erkrankungen Rat bei der TelefonSeelsorge. Ohnehin ist sich Behrend-Fuchs sicher: „Wir haben einen großen Stellenwert für die psychische Gesundheit der Menschen in dieser Stadt. Dass sie wissen, hier wird mir geholfen, gibt ihnen Halt.“ Die Zusammenarbeit in Dortmund, auf westfälischer und Bundesebene sei sehr gut und kollegial, zieht Ingrid Behrendt-Fuchs Bilanz.

Trotzdem ist der Job nicht einfach. Was ist der Ausgleich? „Ich habe gute Freundschaften, singe im Chor und bin kulturbegeistert.“ Sie lebt mit Mann und Hund in der Nähe des Westfalenparks, ist sehr gerne Dortmunderin und liebt es, mit dem Hund in der Natur zu sein. „Jetzt freue ich mich darauf, Zeit für mich zu haben. Ich werde mir auch ein Ehrenamt suchen – aber nicht bei der TelefonSeelsorge. Das sollen jetzt andere machen.“

Foto: Möller-Sendler
An diesem Arbeitsplatz hat Ingrid Behrendt-Fuchs als jahrelange Leiterin der TelefonSeelsorge viel Gutes bewirkt.
Foto: Möller-Sendler