13.07.2017 // Vortrag über Syrien

Die den Sturm ernten

In Syrien hat sich eine ganze Bevölkerung erhoben. „Dieses Erzählmuster greift viel zu kurz“, so der Islamexperte Michael Lüders.

Syrien und der Westen: Vortrag von Michael Lüders

Eigentlich scheint alles klar zu sein. In Syrien hat sich eine ganze Bevölkerung erhoben, um den blutrünstigen Machthaber Assad loszuwerden und anschließend ein neues Land nach westlichem Muster aufzubauen.

Soweit das hier übliche Bild, das von Politik und Medien gezeichnet wird. „Dieses Erzählmuster greift viel zu kurz“, so Michael Lüders bei einer Veranstaltung im Gemeindehaus von St. Marien.

Lüders, lange Jahre Nahost-Korrespondent der Wochenzeitung „Die Zeit“, hat in Damaskus gelebt und Islamwissenschaften studiert. Er ist Islamexperte und Kenner des Nahen Ostens. Auf Einladung  des Amtes für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) der westfälischen Landeskirche und der Evangelischen Akademie Villigst sprach er über den Syrienkrieg und die Rolle der Großmächte.

Letztlich sei es der westliche Versuch gewesen, Assad von der Macht zu fegen, was Syrien das Chaos brachte und zu einer gewaltigen Flüchtlingsbewegung führte. Die Protestbewegung hätte ursprünglich nicht das Ziel eines Machtwechsels gehabt. Nur wenige Monate nach deren Entstehen sei sie allerdings gewalttätig überlagert worden.

„Es strömten sehr schnell sehr viel Geld und sehr viele Waffen nach Syrien, von den USA, der Türkei und den Golfstaaten.“ Denn es handle sich in Syrien auch um einen Stellvertreterkrieg. Es gehe dem Westen nicht etwa um Freiheit und Demokratie, sondern darum, „Syrien als engsten Verbündeten Russlands, Chinas und des Irans in dieser Region zu stürzen.“

Assad habe auch jetzt noch den Rückhalt „von mindestens der Hälfte der syrischen Bevölkerung“. Auch die religiösen Minderheiten, darunter die Christen, hätten sich bis heute nicht am Aufstand beteiligt. „Sie wissen, wenn Assad stürzt, kommen nicht etwa Vertreter der Zivilgesellschaft an die Macht, sondern djihadistische Gruppierungen.“

Die Tragik nicht nur Syriens, sondern der ganzen Region sei, dass die bürgerlichen Mittelschichten viel zu schwach seien, um die Macht zu übernehmen. Lüders wies generell darauf hin, dass man Syrien nicht isoliert betrachten dürfe: „Alles in dieser Region ist miteinander verbunden und verwoben.“ Dort herrsche, auch dank der Einmischung des Westens und der militärischen Interventionen der USA ein „Riesenchaos“.

Lüders warnte: „Es besteht die Gefahr, dass irgendwann einer der ausländischen Akteure dort die Lunte legt für eine ganz große Explosion.“

Lesetipp

  • Michael Lüders,
    Die den Sturm ernten,
    Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte,
    März 2017
Foto: Stephan Schütze
Der Nahostexperte Michael Lüders: „Die Verhältnisse in Syrien sind anders als sie bei uns dargestellt werden.“