Er kommt mit dem letzten Glockengeläut. Geht zielstrebig zur ersten Reihe – und setzt sich dann, plötzlich zögerlich, an den Rand der Bank. Rutscht nach und nach in Richtung Mitte. Seine Jacke ist viel zu dünn für den frostigen Novemberabend; seine Beine, die in einer weiten Jeans stecken, sind es definitiv auch. Die Mütze behält er auf – nicht aus Respektlosigkeit, sondern weil die Haare darunter vermutlich schon länger keine Dusche mehr hatten.
Der „Gottesdienst für Unbedachte“ in der Dortmunder Reinoldikirche findet viermal im Jahr statt – dieser ist nun der letzte für 2024. Es ist ein besonderes Format, das auch besondere Menschen in die Stadtkirche zieht. Ein Zeichen der Anteilnahme und der Solidarität mit denen, die einsam lebten, allein starben und so auch beigesetzt wurden. Und für manchen, wie den Herrn mit der Mütze, vielleicht auch ein Hoffnungsschimmer.
„Diese Gottesdienste sind ein Zeichen, dass es uns nicht egal ist. Die Verstorbenen waren Mitbürgerinnen und Mitbürger. Ihr Leben war kostbar“, erklärt Reinoldipfarrer Michael Küstermann, der gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Ansgar Schocke und Bürgermeister Norbert Schilff diesen Abend gestaltet.
98 Namen sind es diesmal, die sie verlesen. Dazu das Alter. Der Jüngste, Michal, war erst 37, der Älteste, Josef, lebte 100 Jahre lang. Wie ihr Leben verlief, warum sie allein waren, ob es auch glückliche Momente gab – all das erfahren die etwa 50 Besucher*innen des Gottesdienstes nicht.
Doch viel wichtiger ist vielleicht eh die Zusage, die Michael Küstermann in seiner Predigt aus der Offenbarung des Johannes zitiert: „… und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“
Ein berührender Abend. Für jeden im Raum auf ganz eigene Art.