Lesesessel statt Warteflur, offene Küche ohne Bedientresen, anstelle der grellen Büroleuchte flackert hier ein (künstlicher) Kamin: Im neuen Wichern-Wohnungslosenzentrum bündelt die Diakonie Dortmund künftig ihre Arbeit für Menschen, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Alle Angebote rund um Wasch- und Duschmöglichkeiten, Ruheräume, medizinische Untersuchungsräume sowie das komplette Angebot der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Menschen (ZBS) werden hier im Winter 2022/23 einziehen. Der Evangelische Kirchenkreis Dortmund baut dazu gerade das komplette Gebäude in der Stollenstraße um, unterstützt so das Projekt mit mehr als 900.000 Euro. Herzstück der neuen Einrichtung wird nach dem Umbau ein Wohnzimmer sein, das die Diakonie am Montag, 27. Juni 2022, der Öffentlichkeit vorstellte und an deren Ausstattung sich engagierte Bürger*innen und Unternehmen beteiligen können.
Im Veranstaltungssaal des ehemaligen Kultur- und Tagungszentrums der Diakonie wird in den nächsten Monaten ein Raum geschaffen, der Gemütlichkeit, Würde, Komfort und Sicherheit vereinen soll. Ausgestattet wird er mit komfortablen Sesseln, Leseecken, Computerplätzen, wohnlichem Licht und offener Küche. Nutzer*innen, die sich hier künftig aufhalten, sind nicht zu Besuch, sondern Teil und Mitgestaltende der Gemeinschaft dieses Hauses – so die Philosophie.
„Ein würdiger Tagesaufenthalt ist uns wichtig, denn Orte, an denen wir uns aufhalten, wirken sich darauf aus, wer wir sind und wer wir werden können. Nur wenn ich mich angenommen fühle und Teilhabe gegeben ist, können weitere Schritte gegangen werden. Dafür steht der Tagesaufenthalt in seiner aufwendigen Gestaltung“, sagte Diakonie-Geschäftsführerin Uta Schütte-Haermeyer bei der Vorstellung der Idee. Es gibt keine Bedienungstresen, keine Barrieren, stattdessen setzen die Mitarbeitenden auf Selbstbedienung, -nutzung und -bestimmung.
Hochwertige Materialien, Komfort und ein modernes, gemütliches Ambiente stehen bei der Einrichtung im Vordergrund. In der Mitte des über 200 Quadratmeter großen Raumes wird ein großer Esstisch stehen, der für Verbindungen, Gemeinschaft und ein barrierefreies Sozialgefüge steht. Hier wird gemeinsam gegessen, gelesen, geschrieben, gespielt und gesprochen. An der Stirnwand, früher der Standort der Bühne des Veranstaltungsaals, werden rund um einen großen alten Steinkamin hoch aufragende Bücherregale und ein großer Fernseher an der Wand angebracht.
Ehrenamtlich unterstützt und begleitet wird das Projekt „Wohnzimmer“ von Andreas Georg Hanke. Der Dortmunder Architekt und Innenraum-Designer ist vertraut mit der hochwertigen, modernen Gestaltung öffentlicher Räume. Im Wichernhaus liegen ihm besonders die Aspekte Würde und Sicherheit am Herzen: „Den Schwächsten einen Ort zu geben, der in Qualität und Ausstattung dem entspricht, was man sich auch fürs eigene Zuhause wünscht – das wäre doch mal etwas, was unsere Stadt auch für Menschen, die keines haben, lebenswert machen würde. Deswegen arbeite ich für diese Sache.“
Das gilt auch für Heike Proske, der dieses Projekt als Superintendentin ebenfalls ein Herzensanliegen ist. "Diese Nutzung unseres ehemaligen Gemeindehauses wäre sicher im Sinne von Johann Hinrich Wichern, nach dem das Gebäude benannt wurde. Uns ist es als Evangelische Kirche in Dortmund ein großes Anliegen, dass die Menschen, die zu uns kommen, als Geschöpfe Gottes mit Respekt willkommen geheißen werden. Ich freue mich, dass wir die wichtige Arbeit der Diakonie an dieser Stelle nicht nur ideell, sondern auch deutlich finanziell mittragen können."
Noch sind Wohnzimmer und Beratungsräume leer, sie werden aufwendig renoviert. Doch einen Vorgeschmack lieferte ein Wohnzimmer im Kleinformat sowie detaillierte Zeichnungen des Architekten, der bei seinen Gestaltungsideen auch von Adolf Winkelmann und Christiane Schaefer-Winkelmann ehrenamtlich unterstützt wird. Das Dortmunder Filmemacher-Ehepaar setzt sich gleichermaßen für das neue „Wohnzimmer“ für Wohnungslose im Wichernhaus ein. Gemeinsam werben sie für weitere engagierte Menschen und Unternehmen, die die Ausstattung des Raumes unterstützen wollen.
Neben dem neuen Konzept, wohnungslosen Menschen ein Gefühl von Gemütlichkeit, von Geborgenheit und Zuhause, abseits von Behördenfluren, Wartezimmern, Verpflegungs-schlangen oder Beratungsbüros, zu vermitteln, steht der nachhaltige Ansatz der Diakonie-Wohnungslosenhilfe im Vordergrund: Das neue Zentrum bietet, neben dem zwanglosen Aufenthalt zu zuverlässigen Zeiten, moderne und freizügige Kochgelegenheiten, Wasch- und Duschmöglichkeiten in einem Waschcafé, Ruheräume, medizinische Untersuchungsräume sowie die Wichern-Suppenküche, dessen ehrenamtliches Team seit vielen Jahren einmal in der Woche an diesem Ort Mittagessen ausgibt.
Die Zentrale Beratungsstelle für wohnungslose Menschen (ZBS) arbeitet seit über 40 Jahren in der Rolandstraße 10 und zieht zur Eröffnung des Wichernhauses ebenfalls in die Stollenstraße 36. Neben dem 20-köpfigen Team an Fach- und Unterstützungskräften, ziehen auch die momentan über 700 Erreichbarkeitsadressen für Menschen ohne eigenen Wohnsitz in die Stollenstraße um. In modernen Beratungsbüros, direkt neben dem Wohnzimmer, erhalten Besucher*innen Hilfe und Begleitung bei der (Wieder-)Erlangung von Grundsicherung, Krankenversicherung sowie der Suche nach einer Wohnmöglichkeit.
„Wohnen ist ein Menschenrecht. Jeder Mensch braucht ein eigenes Zuhause. Unser Ziel ist darum die Begleitung von diesem Wohnzimmer auf Zeit in das eigene Wohnzimmer. Darum ist es jetzt so wichtig, dass wir die Beratungsstelle und den Tagesaufenthalt an einem Ort in einem integrierten Wohnungslosenhilfezentrum zusammenführen“, erklärte Diakonie-Geschäftsführer Pfarrer Niels Back.
Eine aktuelle Studie im Auftrag des Landes NRW hat ergeben, dass mehr Betroffene als gedacht nicht durch die Hilfsangebote für Wohnungslose erreicht werden: „Hier machen wir einen ersten, wichtigen Schritt, um unsere Angebote noch zugänglicher zu machen.“
Spenden erwünscht
Für die Ausstattung des Wohnzimmers sucht die Diakonie noch weitere engagierte Menschen und Unternehmen, die wohnungslose Menschen unterstützen möchten und den Ansatz der Diakonie teilen.
Online
Spenden sind online unter www.diakoniedortmund.de/wohnzimmer möglich oder an folgendes
Konto der Sparkasse Dortmund
- Diakonisches Werk Dortmund und Lünen
IBAN: DE90 4405 0199 0001 7777 77
BIC: DORTDE33XXX
Stichwort: Wohnzimmer
Das Dortmunder Wichernhaus
Bereits zum Ausbruch der Coronapandemie wurde das ehemalige Kultur- und Tagungszentrum der Diakonie in der Stollenstraße 36, unter Berücksichtigung aller Infektionsschutzmaßnahmen, zu einem Tagesaufenthalt für Wohnungslose inklusive Essensausgabe umfunktioniert. Das Wichernhaus war über Monate die einzige dauerhaft geöffnete Einrichtung für wohnungslose Menschen in Dortmund.
Während des Umbaus finden die bisherigen Angebote des Tagesaufenthalts in einem großen, möblierten Zelt im Garten des Hauses statt. Durch den Umbau unterstreicht die Diakonie den Nutzungszweck des ehemaligen Gemeindehauses, dass 1928 in Anwesenheit eines Enkels des Namensgebers Johann Hinrich Wichern (1808-1881) eröffnet wurde. Der Hamburger Theologe und Sozialreformer gilt als Begründer der Sozialen Arbeit und der Inneren Mission, die in der Diakonie in ihrer heutigen Form aufging.
Wohnungslosigkeit in Dortmund: Die aktuelle GISS-Studie
Eine in 2022 veröffentlichte Studie der Gesellschaft für innovative Sozialforschung (GISS) im Auftrag des Landes NRW zeigt, dass weit mehr Menschen in Dortmund von Obdachlosigkeit betroffen sind, als es bisher bekannt war und gibt einen vertieften Einblick in die Lebenslagen der Betroffenen – von den Gründen des Wohnungsverlusts bis hin zur gesundheitlichen Situation der Betroffenen. Die Ergebnisse nutzt die Diakonie zur konzeptionellen Weiterentwicklung: „Deutlich wird bereits jetzt, dass die ZBS verstärkte Anstrengungen unternehmen muss, um Obdach- und Wohnungslose zu erreichen, die bisher noch nicht ins Hilfesystem integriert sind. Die Aufsuchende Sozialarbeit, die wir eingerichtet haben, muss weiter ausgebaut werden. Außerdem muss ein noch stärkerer Fokus auf den Problemkreis der psychischen Erkrankungen gelegt werden“, erklärte Diakonie-Geschäftsführer Niels Back. Jede*r dritte Betroffene leidet laut Selbstauskunft an einer chronischen psychischen Erkrankung. Hier hat die Diakonie durch die Eröffnung der Pension Plus für Männer und Frauen bereits im vergangenen Jahr einen ersten wichtigen Schritt getan. Das Wohnzimmer soll bei allen Problemlagen einen noch einfacheren Zugang ins Hilfesystem ermöglichen.