02.07.2021

Eine Religion der Tat

Die jüdische Kultusgemeinde gab Einblicke in Kultur, Glauben und Alltag

Endlich durfte eine Veranstaltung wieder gemeinsam vor Ort stattfinden. Dass ein Abend zum Kennenlernen und gegenseitigen Verständnis von jüdisch und christlich geprägten Dortmunderinnen und Dortmundern im Juni zu den ersten gehörte, zu der die Teilnehmenden wieder in analoger Gemeinschaft zusammengefunden haben, konnte kaum symbolhafter sein.

Rund 30 Gäste kamen im Haus der Jüdischen Kultusgemeinde zusammen, um Einblicke in die religiösen, kulturellen und sozialen Aktivitäten der Dortmunder Gemeinde, aber auch das alltägliche Leben ihrer Mitglieder zu erhalten. Die gab Religionslehrerin Rosa Rappoport, Koordinatorin des Jüdischen Religionsunterrichts im Landesverband der Jüdischen Gemeinden Westfalen-Lippe und aktives Mitglied der Dortmunder Gemeinde. Eingeladen hatten gemeinsam die Jüdische Kultusgemeinde und der Evangelische Kirchenkreis in Kooperation mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der Katholischen Stadtkirche.

Seit 1700 Jahren ist jüdisches Leben in Deutschland nachweisbar. Und auch in Dortmund hat es eine lange Tradition. Die ‚Alte Synagoge‘, stand einst präsent mitten in der Dortmunder Innenstadt. Sie blieb dort jedoch nur 38 Jahre lang. Dann fiel sie der Zerstörung durch die Nationalsozialisten zum Opfer. Weitere Synagogen gab es in Hörde und Dorstfeld. Und auch in der Nordstadt waren einst kleinere jüdische Gebetsstuben zu finden.

Neu gegründet 1956

Nach Vertreibung und Holocaust war in Dortmund nur noch eine kleine Gruppe von 50 jüdischen Bürger*innen verblieben. Sie wuchs in den Folgejahren langsam und stetig wieder an und im Jahr 1956 gründete sich die heutige Jüdische Kultusgemeinde, damals mit rund 300-400 Mitgliedern.

Deren Aktivitäten und inhaltlichen Orientierungen gestalteten sich vielfältig. Einen Schub erhielt die Gemeinde durch die Zuwanderung jüdischer Menschen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion in den 90’er Jahren, erläuterte Rosa Rappoport. Sie ließ die Dortmunder Gemeinde auf mehr als 3000 Mitglieder anwachsen. Mittlerweile gibt es hier einen eigenen Kindergarten, in den auch nichtjüdische Mädchen und Jungen gehen dürfen, man trifft sich in Tanzgruppen und Chören und für die kommenden Jahre ist die Einrichtung einer jüdischen Grundschule geplant, die ebenfalls integrativ aufgestellt sein soll.

Nach wie vor gibt die Kultusgemeinde Jüdinnen und Juden unterschiedlicher Glaubensausrichtungen eine Heimat. Die Bandbreite, so Rappoport, reiche von orthodoxen Jüd*innen – sie legen die Gesetze der Tora, der fünf Bücher Mose, die für das Judentum die Heilige Schrift bedeuten, wörtlich aus und fühlen sich im Alltag an jede ihrer Aussagen unmittelbar gebunden – bis hin zu Vertreter*innen des liberalen Judentums. Das, so Rosa Rappoport, habe durch Protagonisten wie Moses Mendelssohn im 18. Jahrhundert seine Ursprünge in Deutschland.

Sabbat im Garten

Für Jüd*innen aller Couleur aber sind jüdische Feiertage wichtig, wie das jüdische Neujahrsfest Rosch Haschana im Spätsommer oder das ‚Versöhnungsfest‘ Jom Kippur und natürlich der allwöchentliche Sabbat. Er beginnt am Freitagabend mit einem gemeinsamen Gebet und dauert bis zum Abend des Samstags. Am Sabbat, so beschrieb Gastgeberin Rosa Rappoport, kommt die Familie zusammen. Man nimmt sich Ruhe für- und miteinander, immer wird lecker und gut gekocht – selbstverständlich ‚kosher‘, nach den jüdischen Speiseregeln - und obligatorisch ist das Backen eines besonderen Hefebrotes. Sabbat feiern könne man nicht nur in der Synagoge, berichtete die Religionslehrerin. Auch der heimische Garten könne dazu einladen. Das gemeinsame Singen habe dabei schon die freundliche Aufmerksamkeit von Nachbarn geweckt.

Wer seinen jüdischen Glauben liberal auslegt, der versucht seine Lebensweise, soweit es geht, mit den Gepflogenheiten seines sozialen Umfelds in Einklang zu bringen. Aber auch orthodoxe Jüdinnen und Juden entwickelten ihre Art zu glauben und zu leben weiter, erläuterte die Referentin.

Schwierig wird die Einhaltung des Sabbats, wenn die fußballbegeisterten Zwillinge der Familie mit ihrer D-Jugendmannschaft am Samstag zum Punktspiel müssen. Und auch ein Bundesliga-Match des BVB, die ganze Familie sind Fans, werde meist am Sabbat ausgetragen. Da heißt es Abstriche machen und Kompromisse suchen. Aber Jüdinnen und Juden, waren schon immer praxisorientiert, sagt Rosa Rappoport, „Das Judentum ist eine Religion der Tat.“

Bildung als Antwort

Immer belastender wird allerdings für viele der rund 120.000 Menschen aus den jüdischen Gemeinden in Deutschland der Antisemitismus im Land, verbunden mit Hasstiraden und sogar konkreten Bedrohungen. Wer die Dortmunder Synagoge besuchen möchte, muss mehrere Polizeibeamte passieren, die vor dem Gebäude Wache halten. Und sogar der jüdische Kindergarten steht ständig unter Polizeischutz. Rosa Rappoport und ihre Familie leben dennoch bewusst und gerne in Dortmund. Ihre Antwort auf diffuse Anfeindungen ist, möglichst viel über ihre Religion zu berichten. Die Religionslehrerin hat sich Bildung zur Aufgabe gemacht, um Vorurteile und Unwissen zu besiegen: „Ich möchte Menschen helfen, dass sie etwas lernen können.“

Foto: Stephan Schütze
Ein Abend der Begegnung in der Jüdischen Gemeinde: Pfarrerin Annette Back (l.), Synodalbeauftragte für den jüdisch-christlichen Dialog, und Gastgeberin Rosa Rappoport
Foto: Stephan Schütze