19.08.2015 // Betriebsbesuch

Einen Kilometer unter der Erde

Ein ungewöhnlicher Betriebsbesuch: Unter Tage waren Pfarrerinnen und Pfarrer des Evangelischen Kirchenkreises.

Pfarrerinnen und Pfarrer fahren in die Grube

Die Gesteinsschichten rauschen in einer beeindruckenden Geschwindigkeit an uns vorbei. Der Druck auf den Ohren ist deutlich zu spüren. Im Förderkorb fahren Pfarrerinnen und Pfarrer des Evangelischen Kirchenkreises unter Tage ein.  Bis zur 6. Sohle im Bergwerk Auguste Victoria 8 geht es genau 1.113 Meter und 50 Zentimeter in die Tiefe. Der Förderkorb schafft das in 90 Sekunden, umgerechnet sind das 43 km/h.

Zu einem ungewöhnlichen Betriebsbesuch hatte der Kirchenkreis zusammen mit der RAG eingeladen. Auguste Victoria in Marl ist eines der letzten noch arbeitenden Bergwerke in Deutschland. Steiger Peter Dithmer, der die Theologen begleitet, erzählt: „Ende der 50er Jahre haben noch 600.000 Menschen in der Steinkohle gearbeitet, heute sind es 20.000.“ Und das wird noch weniger werden. „Die jungen Menschen haben hier keine Zukunft mehr.“  Die meisten müssen sich nach einem neuen Arbeitsplatz umsehen, die älteren dürfen auf einen Sozialplan hoffen. 60 Millionen Tonne Steinkohle werden in Deutschland jährlich gebraucht. Die deutschen Zechen fördern gerade mal 6,2 Millionen Tonnen. Der große Rest ist billigere ausländische Kohle. Bis November wird auf Auguste Victoria noch gefördert. Dann ist Schluss. Die beiden letzen verbleibenden Zechen in Deutschland, Prosper Haniel in Bottrop und Anthrazit Ibbenbüren folgen bis Ende 2018. Die RAG wird es weiter geben. Unter anderem hat sie bereits einige erfolgreiche Projekte zur Nutzung erneuerbarer Energien verwirklicht: Windräder, Photovoltaik, Geothermie.

Acar, einer der Bergmänner, die mit den Theologen bis zur 6. Sohle fahren, ist 27 Jahre dabei. „Es gibt Kumpel, die arbeiten hier seit 35 Jahren oder noch länger“, sagt er. Unten angekommen gibt es die letzten Sicherheitshinweise. Das „Geleucht“, die Lampen am Helm, anmachen. „Denn ein Kumpel ohne Licht ist ein Bösewicht.“ Und die Hände aus den Taschen, weil man sich so besser abstützen kann, wenn man stolpert. Damit ist zunächst aber nichts. Der Stollen ist breit und hoch, gut ausgebaut, verhältnismäßig gut beleuchtet. Er ähnelt eher einer großen Werkhalle unter Tage oder einem Tunnel mit Bauarbeiten. Zweieinhalb Kilometer dauert es bis zum Streb, wo die Kohle gefördert wird. Auf dem Weg dorthin wird es dunkler, enger, bedrückender, schmutziger. Erst Steinstaub, dann Kohlestaub. Den größten Teil der Strecke legen wir in einer „Dieselkatze“ zurück, einer Art Miniaturhängebahn, die unserem Ziel entgegenruckelt. Direkt neben der „Katze“ ein Förderband, dann Versorgungsrohre und elektrische Leitungen, mitunter armdick, dann wieder ein Förderband. Rund 250 Meter geht es dann zu Fuß den Streb hinein. Gebeugt und gebückt unter den Stahlplatten des Schildstrebs, stolpernd und mit den Händen Halt suchend in der Enge und Dunkelheit zwischen Förderband rechts und dem abgestützten Streb links. Ich singe Loblieder auf den Erfinder des Schutzhelms, denn oft genug haue ich mir den Schädel irgendwo an. Dann sehen wir die riesige rotierende Walze, umgeben von einem Kranz aufgewirbeltem Kohlestaub, nahezu romantisch von hinten angestrahlt. Dieser Walzenschrämlader schneidet das kohlehaltige Flöz aus dem Streb. Auch wenn für die Kumpels die mühsame aufwändige Handarbeit bereits vor Jahrzehnten abgelöst wurde durch die Fernsteuerung des Walzenschrämladers und  von einem automatischen Ausbau, um das Gebirge über dem Flöz, das „Hangende“, zu sichern, so ist die Arbeit unter Tage nach wie vor belastend und körperlich anstrengend. Wärme und Hitze, kein Tageslicht, Kohle- und manchmal Steinstaub, Lärm und Krach. Obschon das Theologenteam nur auf Besuch hier ist, sieht man schnell in angestrengte, schweißnasse und vom Staub grauschwarz verklebte Gesichter. Wie muss es erst sein, hier nicht nur zuzuschauen, sondern zu arbeiten? „Ich habe hohen Respekt“, so Superintendent Ulf Schlüter, „vor den Kumpels, die hier arbeiten. Und das vielleicht 30 Jahre lang.“

Früher waren Pfarrer im Ruhrgebiet erst dann Ruhrgebietspfarrer, wenn sie einmal eingefahren sind. Die Zeiten sind zwar schon lange vorbei. Doch das Pfarrerteam des Evangelischen Kirchenkreises darf sich jetzt auch „Ruhrgebietspfarrer“ nennen.

Wieder am Tageslicht: Pfarrerinen und Pfarrer des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund beim Besuch des Bergwerks Auguste Victoria 8 in Marl. Foto: RAG