Zeitzeugen des Holocausts zu Gast in der Jugendkirche
Micha Schliesser aus Berlin und Klaus Weinberg aus Dortmund waren Spielkameraden und Freunde. „Er war sogar mein bester Kinderfreund“, sagt Schliesser über Weinberg. Doch irgendwann war der Sechsjährige nicht mehr da.
Der gleichaltrige Schliesser verstand das damals nicht. Damals, das war 1944. Beide waren jüdische Kinder, beide lebten in den von den Deutschen besetzten Niederlanden, genauer: im Lager Westerbork.
Von diesem Durchgangslager gingen wöchentlich die Züge ins Vernichtungslager Sobibor. Es war ein regelrechter „Linienverkehr“, so Andreas Roshol vom Dortmunder Jugendring. Pünktlich jeden Dienstag fuhren die Züge in den Osten, damit pünktlich jeden Freitag die deportierten Menschen im Vernichtungslager umgebracht werden konnten, denn pünktlich freitags abends wollten die SS-Lagermannschaften ins Wochenende gehen.
An irgendeinem Dienstag im Jahr 1944 wurde auch Klaus Weinberg deportiert. Von 27 weiteren Dortmunder Kindern ist bekannt, dass sie im Durchgangslager Westerbork waren. Zusammen mit ihren Familien sind sie nach 1933 nach Holland emigriert. So wie Micha Schliesser, dessen Eltern kurz nach dem Novemberpogrom 1938 geflohen sind. Damals war Schliesser noch ein Säugling. Er ist einer der ganz wenigen, die überlebt haben.
Als Zeitzeuge berichtete er in der Jugendkirche zusammen mit Mirjam Ohringer, die als Jugendliche im niederländischen Widerstand aktiv war. Der Nachmittag in der Jugendkirche war die Präsentation eines gemeinsamen Projekts des Jugendrings Dortmund und des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks (IBB).
Denn seit März des letzten Jahres hatten sich mehr als 200 Jugendliche aus Dortmund und Castrop-Rauxel auf eine ungewöhnliche Spurensuche gemacht, deren erste Ergebnisse sie jetzt vorstellten.
Intensiv haben sie die Schicksale der Kinder von Westerbork erforscht. Einige besuchten das frühere Durchgangslager in den Niederlanden, andere nutzten insgesamt drei Gedenkstättenfahrten nach Amsterdam. Ein Teil der Jugendlichen aus Dortmund gedachte in Westerbork der Opfer, andere nahmen an der offiziellen Gedenkfeier zum 70. Jahrestag des Aufstands von Sobibor teil.
Ziel war es, die Kinder und Jugendlichen von Westerbork vor dem Vergessen zu bewahren. Es sein ein „wunderbares Projekt“, so Matthias Tümpel, Vorsitzender des IBB in Dortmund. Es berühre ihn, dass „junge Menschen die Möglichkeit haben, Zugang zu den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte zu finden.“
Es sei zwar Vergangenheit, doch, wie die Widerstandskämpferin Ohringer formulierte: „Für uns bleibt es immer gestern.“