08.11.2016 // Sven Giegold predigte

Gewissheiten wanken

Der Europaabgeordneten der Grünen und Attac-Mitbegründer Sven Giegold predigte in St. Reinoldi zum Thema „Der Beitrag der Kirche zu einem nachhaltigen und gerechten Europa“.

Sven Giegold predigt in St. Reinoldi

Der Europaabgeordneten der Grünen und Attac-Mitbegründer Sven Giegold predigte in der Stadtkirche St. Reinoldi zum Thema „Der Beitrag der Kirche zu einem nachhaltigen und gerechten Europa“. Die Gastpredigt zur Apostelgeschichte 10, 34-36 am ersten Novembersonntag war Teil des Programms zum Jahresthema „Weite wirkt".

In der Apostelgeschichte sieht Sven Giegold eine Schlüsselgeschichte. Denn Gott schaue den Einzelnen an, unabhängig von Volksgruppe, Nation, Status oder gar dickem Auto, predigte er. Gott drohe niemandem, „wer glaubt ist okay“, fasste Giegold zusammen. Für ihn sind „die Konsequenzen dieses Abschnitts ungleich radikaler als die Reformation“.

Das Christentum sei eine frohe Botschaft für alle Menschen. Daraus entwickelte sich der Wunsch nach gleicher Würde und Menschenrechten, der Christinnen und Christen immer wieder zur Einmischung dränge, erklärte Giegold.

Damit bekämen die Europäer aber auch mächtig Stress. „Dann wanken unsere Gewissheiten“, so Giegold. Denn unser Wirtschaften, Konsumieren und Produzieren widerspricht diesem Anspruch. „Da Gottes gute Schöpfung allen Menschen gleichermaßen gehört, hat auch keiner das Recht, sich mehr davon anzueignen als den gleichen Anteil“, ermahnte er.

Die Konsequenzen seien radikal: Der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien, das Ende der Plünderungen endlicher Bodenschätze, faire Löhne beim Handel mit Entwicklungsländern und die Solidarität mit denjenigen, die aus Not und Verfolgung fliehen. „Es geht heute darum, im wahrsten Sinne des Wortes über unseren eigenen Schatten zu springen.“

Es gibt kein Recht eines Teils der Menschen, ihre Würde über die unserer nächsten zu stellen. Dafür immer wieder eindrücklich einzutreten, sei der eigentliche Beitrag der Kirchen zu Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

Die Versuchung des Wegschauens oder des Rigorismus sei dabei allerdings groß, mahnte Giegold. Zwischen Urteilen und Handeln müsse die Klugheit des Nachdenkens liegen. Überzeugen könnten Christen durch Mut und Hoffnung zur Veränderung, die ungerechte Privilegien aufgibt und zu einem besseren und schönerem Leben führe.

Neben Rigorismus drohe auch die Abwehr von gebotenen Veränderungen, da Christen und die Kirche in ungerechten Seiten der Gesellschaft verstrickt seien, fürchtete Giegold. „Auch ein Wirtschaftssystem, das den Drang zum materiellen Wachstum in sich trägt, muss Widerspruch erzeugen", forderte der Politiker.

Er teilt die Sorge der großen Kirchen über die Krise der europäischen Einigung. Ein Europäischer Kirchentag könne das Zusammenkommen von Christen aus Europa und deren Einfluss befördern. Geplant werde einer für Anfang der 2020er Jahre. Der Kirchentag 2019 in Dortmund könne dabei ein wichtiger Schritt sein, wenn er die Schwestern und Brüder aus den Benelux-Staaten frühzeitig und zahlreich einlädt.

Foto: Stephan Schütze
Den Gottesdienst in St. Reinoldi gestalteten Pfarrer Michael Küstermann, Ökumenereferent Dirk Loose, der Europaabgeordnete Sven Giegold und Pfarrerin Beate Brauckhoff (v.l.).