07.11.2023

Glocken schweben fast zu Boden

Historischer Kirchturm der Lutherkirche wird zurückgebaut

Am Ende geht alles erstaunlich schnell. Seil anbringen, Motor an, und schon hebt der Kran die 2,5 Tonnen schwere Glocke aus dem Turm der Lutherkirche zu Boden. Eine mehr als 115-jährige Geschichte geht da in der Dortmunder Nordstadt zu Ende: Der historische Kirchturm der Nähe des Borsigplatzes wird abgerissen – die drei Glocken mit den Inschriften „Ein feste Burg ist unser Gott!“, „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir!“ und „Nun freut Euch liebe Christengemein!“ werden am frühen Montagmorgen, 6. November, geborgen.

Unter den Zuschauerinnen: Isolde Parussel, Leiterin des Hoesch-Museums – denn die mit 1,6 Tonnen mittlere Glocke wird zukünftig dort an der Westfalenhütte eingelagert. „Das ist schon ein sehr besonderer Moment“, findet sie, und lässt die Glocke keinen Moment aus den Augen, während diese aus dem Turm, über das Grundstück gehoben und fast sanft auf einen bereitstehenden Lkw geladen wird.

Die mit einer Tonne kleinste der drei Schwestern kehrt, wenn man so will, „nach Hause“ zurück - nach Bochum, wo die Glocken 1906 gegossen und von der Firma Hoesch in den damals aufstrebenden Stadtteil im Dortmunder Norden gestiftet wurden. Die größte der drei Glocken bleibt auch in Zukunft in der Flurstraße – vom benachbarten Studio 41, einem Jugendkirchenprojekt des Evangelischen Kirchenkreises, stehen jetzt Justin Sathiskumar und Barbara Matt unter den wenigen Schaulustigen, die dem Schauspiel beiwohnen.

Geläutet hat die Evangelische Kirche hier schon lange nicht mehr – der alte Kirchturm war baufällig. „Bei jedem Läuten bestand die Gefahr, dass sich Steine lösen und zu Boden fallen“, erläutert Christian Schäfer vom Spezialbauunternehmen Caspar Köchling. Über die Jahre waren die Metallstangen, mit denen der äußere Turm aus Ruhrsandstein ursprünglich mal am inneren Betonturm befestigt war, weggerostet – eine Sanierung wäre unverhältnismäßig teuer gewesen in einer Gemeinde, die sich aufgrund der Zusammensetzung im Viertel kleinersetzen muss.

Mit dem Abriss des Kirchturms endet nun das letzte Kapitel der ehemaligen Luther-Gemeinde, die längst schon in der Lydia-Gemeinde aufgegangen ist. Die Gemeinde konzentriert sich mit ihrer eigenen Arbeit auf die Pauluskirche – und ist dankbar, dass der Kirchenkreis den Rückbau des Luther-Kirchturms übernommen hat. „Das war schon eine Landmarke“, sind sich die Zuschauer einig – doch wichtiger als Steine ist das kirchliche Leben, das an dieser Stelle weitergehen wird. Und so verabschieden sich die beiden Jugendmitarbeitenden, nachdem der LKW in Richtung Hoesch-Museum abgefahren ist, um einen internationalen Kochkurs vorzubereiten, der gleich in den Räumen der umgebauten Kirche stattfinden wird. Abschied und Neuanfang, Geschichte und Zukunft – in der Flurstraße sind sie an diesem besonderen Tag nur ein paar Meter auseinander ...