24.10.2014 // Mitri Raheb

Hoffnung auf Versöhnung

„Made in Palestine“ sei der Stempel, den die Bibel trage, so der Theologe Dr. Mitri Raheb. Denn sie habe im Nahen Osten ihren Ursprung. „Was das wirklich bedeutet, ist uns häufig nicht klar.“

Mitri Raheb sprach in St. Reinoldi über „Glaube unter imperialer Macht“

„Made in Palestine“ sei der Stempel, den die Bibel trage, so der palästinensische Theologe Dr. Mitri Raheb. Denn sie habe im Nahen Osten ihren Ursprung.  „Was das wirklich bedeutet, ist uns häufig nicht klar.“

Raheb, evangelischer Pfarrer an der Weihnachtskirche in Betlehem, sprach Ende Oktober als Gast des Evangelischen Kirchenkreises in der Stadtkirche St. Reinoldi. „Ich glaube“, so Raheb, „wir haben die Bibel nicht im richtigen Kontext gelesen.“ Bei der Arbeit an seinem aktuellen Buch, seinem 17. übrigens, sei im bewusst geworden, wie sehr die Bibel ein Produkt Palästinas sei. Einem Land, das seit 3.000 Jahren besetzt sei.

„Glaube unter imperialer Macht“ ist deshalb  der Titel seiner jetzt auch auf Deutsch erschienenen Veröffentlichung. Was ein Leben unter ständiger Besatzung für den Glauben bedeute,  „können sich Theologen in ihren Elfenbeintürmen nicht vorstellen.“ In den 3.000 Jahren sei immer wieder die Frage, ja, der Schrei aufgetaucht: „Gott, wo bist du?“ Man habe den Eindruck, dass Gott schweige. „Er sieht das Unrecht, er tut nichts, er kommt seinem Volk nicht zu Hilfe.“

Dieser Schrei  ziehe sich durch die ganze Bibel. Doch Gott sei dort zu sehen, wo ihn kein Mensch vermuten würde. Denn keine imperiale Macht hätte den Geist Palästinas brechen können.

Mit klaren Worten ging Raheb mit der deutschen Theologie ins Gericht. Sie würde das biblische Israel ständig verwechseln mit dem aktuellen Staat Israel. „Wir müssen wahrnehmen, dass Israel nach internationalem Recht eine Besatzungsmacht und Teil einer imperialen Macht ist.“

Das, auch in der Diskussion vorgebrachte, Argument einer besonderen deutschen Solidarität Israel gegenüber, gegründet in den Verbrechen des Nationalsozialismus, mag Raheb nicht gelten lassen. „Israel heute – das sind nicht die Verfolgten des Dritten Reiches.“

Damals hätten sich die Theologen auf die Seite der imperialen Macht gestellt und den Schwachen nicht geholfen. „Die Theologen heute, die sich auf die Seite Israels stellen, stehen in dieser Tradition.“ Genauso deutliche Worte fand Raheb gegen Judenfeindlichkeit und Antisemitismus.

Schließlich sei „die jüdische Geschichte ein wichtiger Teil der palästinensischen Geschichte“. Auch deshalb hat er Hoffnung auf „eine Versöhnung mit dem Imperium“. Lieb geworden sei ihm das von Jesaja gezeichnete Bild des Löwen, der friedlich neben dem Lamm liegt.

Wenn die Besatzer nicht ihrer militärischen Stärke, sondern ihren Nachbarn vertrauen, dann sei dies auch in Palästina und in Israel möglich – ob in einem oder in zwei Staaten.

Zur Person

Dr. Mitri Raheb, Träger des Aachener Friedenspreises 2008 und des Deutschen Medienpreises 2011, schafft in seiner Heimatstadt Orte der Begegnung, des Austauschs und des Dialogs – auch wenn Bethlehem kein Ort des Friedens ist. Raheb sieht seine Arbeit als Alternative zu Gewalt und Radikalisierung.

Seine Vision setzt er um in der Schaffung von Schulen, Kulturzentren, Sportstätten und einem College. Dort sollen Räume der Hoffnung trotz aller Hoffnungslosigkeit entstehen. Der Traum von einer friedlichen und demokratischen Gesellschaft Palästinas wird hier vorgelebt.

Sein Credo: „Kriege können uns nicht die Vision rauben, in Frieden mit unseren Nachbarn zu leben“.

Seit mehr als 20 Jahren bestehen intensive Kontakte zwischen Raheb und der Evangelischen Kirche in Dortmund und Lünen.

Foto: Stephan Schütze
Der palästinensische Pfarrer Dr. Mitri Raheb stellte in St. Reinoldi sein neues Buch vor. Rechts neben ihm Superintendent Ulf Schlüter, links Ökumenereferent Gerd Plobner, im Hintergrund der Posaunenchor „Brass for Peace“.