14.10.2015 // ZDF-Fernsehgottesdienst

„Ich habe eine Zuflucht gefunden. Das ist wunderbar“

In die Diskussion über die Menschen auf der Flucht setzte der Fernsehgottesdienst St. Petri ein eindrückliches Zeichen der Ermutigung zur Mitmenschlichkeit.

ZDF-Fernsehgottesdienst: Ermutigung für Helfer und Flüchtlinge

In die Diskussion über die Menschen auf der Flucht, die zu uns kommen, setzte der ZDF-Fernsehgottesdienst in der Stadtkirche St. Petri ein eindrückliches Zeichen der Ermutigung zur Mitmenschlichkeit.

Am 11. Oktober griffen die Mitwirkenden, darunter die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, die Sorgen und Ängste der Flüchtlinge auf, aber auch die Befürchtungen aus der Gesellschaft. Statements, Gebete, die Predigt und die Fürbitten im Gottesdienst beschrieben Nöte und Sorgen, zeigten Aufgaben und machten Mut für ein gelingendes Miteinander.

„Wie gelingt es uns, das freundliche Willkommen der ersten Septembertage fortzusetzen?“ So lautete die Frage von Pfarrerin Barbara von Bremen zu Beginn des Gottesdienstes. „Dort wo Einheimische und Flüchtlinge plötzlich zu Nachbarn werden?“ Eindrücke dazu gaben Statements im Gottesdienst.

In der Bürgerschaft habe sich die Toleranz noch nicht überall durchgesetzt, ist die Wahrnehmung eines Polizisten. „Ich höre Bedenken und Ängste.“ Es sorgt ihn, dass sie in Fremdenfeindlichkeit übergehen könnten. „Ich glaube, wenn sich Einheimische und Flüchtlinge persönlich begegnen würden, wäre das anders.“

Eine Pädagogin berichtete vom Bild eines kleinen Jungen aus Syrien. „Es war so eindrücklich, weil alle Strichmännchen gelegen haben. Als ich dieses Bild gesehen habe, ist mir deutlich geworden, welch große Aufgabe vor uns liegt.“

In der Stadt gibt es die Sorge, „ob wir überhaupt in der Lage sein werden, all die Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen“, sagte ein Mitarbeiter der Stadt. Wenn es anschließend darum gehe, sie mit Wohnungen zu versorgen, stünden sie in Konkurrenz zu anderen Bevölkerungsgruppen, die auch auf preiswerte Wohnungen angewiesen seien. „Da entsteht Neid“, weiß er.

Präses Annette Kurschus predigte über die Mannageschichte

„Schaffen wir das?“- „Wie geht das weiter?“ – „Wie soll das werden“: Diese ängstlichen und besorgten Fragen seien eigentlich und zuerst die Fragen derer, die zu uns kommen. Mit diesem Perspektivwechsel hatte Präses Annette Kurschus einen hoffnungsvollen Blick auf die Integration von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland eröffnet.

Kurschus predigte über die biblische Mannageschichte (2. Mose 16, 11-21), in der es um die wundersame Speisung des Volkes Israel auf dem Weg durch die Wüste geht. Jeder und jede erhalte täglich das, was er und sie zum Leben brauche. Nicht mehr und nicht weniger. Diese Geschichte ließ sie transparent werden für die gegenwärtige Situation, die schwanke zwischen freudigem Staunen über das Mögliche und ängstlicher Abwehr angesichts des Unmöglichen. In der biblischen Geschichte haben alle genug.

Das sei der springende Punkt, sagte die Theologin. „Das Brot, das Gott den Seinen auf dem Weg in die Freiheit zu essen gibt, ist gleichmäßig und gerecht verteilt.“ Auf gleichmäßige und gerechte Verteilung werde es auch bei uns ankommen.

Ihre Folgerung: „Gewiss, wir sind alle gerufen, uns betreffen zu lassen von der Not derer, die zu uns kommen. Aber: Wir werden auch unter uns sehr genau hinsehen müssen. Damit nicht diejenigen noch weniger erhalten, die jetzt schon zu wenig haben. Das heißt: Unter uns sind auch und gerade diejenigen gefragt, die viel und zu viel haben.“

Der Weg durch die Wüste sei „großartig“ und „beängstigend“ zugleich. „Großartig, weil alle spüren, wie sie zusammengehören, wie sie aufeinander angewiesen sind. Großartig, weil sie ein Gefühl dafür entwickeln, was wirklich wichtig und was nur nebensächlich ist.“ So sei es die Erfahrung vieler Helferinnen und Helfer, die sich derzeit auf beeindruckende und selbstverständliche Weise für die Flüchtlinge und Asylsuchenden einsetzen.

„Beängstigend“ sei der Wüstenweg, weil wir nicht wissen, wie es werden wird. Auch vor uns, die wir die geflüchteten Menschen bei uns aufnehmen, liege ungewisses Neuland: „Es gibt helfende Hände und hitzige Köpfe; es gibt wunde Füße und blanke Nerven. Alle ahnen, dass es anstrengend sein wird, richtig anstrengend. Es wird auf und ab gehen, bisweilen auch drunter und drüber.

“Mitten hinein in diese herausfordernde und ungewisse Situation ließ die Theologin die hoffnungsvolle Zuversicht der biblischen Geschichte sprechen: Das Brot, das Gott zu essen gibt, ist jeden Morgen da. Jeweils genug für den Tag. „Es ist klein, damit es nicht hindert auf dem Weg, der vor ihnen liegt. Einsammeln müssen sie´s. Jeder Mann und jede Frau, jeweils für die Menschen, die ihm und ihr anbefohlen sind. Alle sollen merken: Ich selbst bin gefragt. Wirklich auch ich kann und soll mitmachen. Auf mich kommt es an.“

Sie haben mich genommen, wie ich bin

Dass es geht berichtete ein 17-jähriger Jugendlicher aus Guinea. Vor zwei Jahren kam er nach Dortmund. „Ich bin in eine Wohngruppe der Diakonie gekommen. Dort und in der Schule haben sie mich genommen, wie ich bin. Die haben nicht auf meine Hautfarbe geachtet. Sie haben mir geholfen mit der Sprache. Sie haben gesagt: Du schaffst das! Bei ihnen habe ich Zuflucht gefunden. Das ist wunderbar.“

Wir haben Dortmund verändert

Die Erfahrung der Helfenden am Hauptbahnhof und im Dietrich-Keuning-Haus fasst der Brief einer Muslimin zusammen. Sie hat ihn im Internet veröffentlicht. Pfarrerin von Bremen las daraus vor:

„Die letzten zwei Wochen haben viel mit uns gemacht. Manche von uns haben plötzlich einen Blick für sich selbst bekommen und sehen nun ihren Platz in der Welt deutlicher. … wir haben vielen Menschen ein kleines Geschenk gemacht und haben ein riesengroßes zurückbekommen. Deshalb möchte ich mich aus ganzem Herzen bei allen Flüchtlingen bedanken, die uns haben an ihren Erfahrungen teilhaben lassen. Wir haben uns durch sie verändert. Wir haben Dortmund verändert.“

Musikalisch gestalteten den Gottesdienst das Ensemble „Living Worshippers“, die Kreiskantorei Dortmund und Norbert Chlebowitz an Orgel und Flügel. Liturgie Pfarrer Friedrich Reiffen.

  • Die Predigt zum Nachlesen als pdf-Datei:
    predigt_zdfgottesdienst_20151011_kurschus_fluechtlinge.pdf,
    Größe: 105 KB
  • Fotostrecke aus der St. Petrikirche
  • Mehr zum ZDF-Gottesdienst
Foto: Stephan Schütze
Im Mittelpunkt des ZDF-Fernsehgottesdiensts in St. Petri stand die Frage, wie sich das spontane und vielerorts großzügige „Willkommen“ gegenüber Flüchtlingen fortsetzen kann.