13.06.2022

In Lünen wird die jüdische Vergangenheit wieder sichtbar

Gedenktafel erinnert an jüdisches Leben und interreligiöses Miteinander im Ort

Wenn die Steine sprechen könnten – was würden sie wohl erzählen über die Fläche neben dem Evangelischen St.-Georg-Gemeindezentrum in Lünen? Da, wo heute ein paar Büsche und ein Baum stehen, wurde einmal gebetet – vermutlich in hebräischer Sprache, denn von 1811 bis 1944 stand dort eine Synagoge. 130 Jahre lang war sie der Mittelpunkt der jüdischen Gemeinde – dann wurde sie von den Nazis geschändet und zerstört. Doch die Steine schweigen – stattdessen erinnern jetzt drei informative und sehr plastisch gestaltete Tafeln an die jüdische Vergangenheit im Ort. Am Freitag, 3. Juni, wurden sie feierlich enthüllt und damit der Öffentlichkeit übergeben.

Jüdisches Leben sichtbar machen – die Idee entstand im Gedenkjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ im Evangelischen Ausschuss für Gesellschaftliche Verantwortung. Nach dem menschenverachtenden Holocaust fehlen allzu viele Stimmen, die über das jüdische Leben erzählen könnten: Fotos, Bücher, Gebäude wurden vernichtet, verbrannt, verschleppt. Doch es gibt noch Spuren, wenn die Quellenlage auch dünn ist. Das Gedenktafelprojekt Kirche macht die Synagoge an ihrem historischen Ort wieder sichtbar. So wollen die Initiatoren, Friedrich Stiller, Pfarrer für Gesellschaftliche Verantwortung im Kirchenkreis und der Lüner Gemeindepfarrer Udo Kytzia, auch an die jüdischen Männer, Frauen und Kinder erinnern, die einmal Teil der Lüner Gesellschaft waren.

Interessant sind die Hinweise eines friedlichen interreligiösen Miteinanders in der Vergangenheit: „Jüdische Menschen wurden durch den so genannten ‚bergischen Erlass‛ von 1808 gleichberechtigt; 1811 kauften die in Lünen lebenden Juden ein Haus gleich neben dem evangelischen Pfarrhaus und unweit der Stadtkirche St. Georg; die katholische Gemeinde unterstützte finanziell mit einem Darlehen von 150 Reichstalern“, so Friedrich Stiller. Wenn man das aus heutiger Sicht betrachte, mit dem Wissen um den Holocaust, könne man erstaunt sein über dieses selbstverständliche Miteinander. Doch: „Offensichtlich gab es aber auch Zeiten, in denen der kirchliche Antisemitismus keine Rolle spielte.“

Das betonte auch Maxim Kolbasner als Vertreter der Jüdischen Kultusgemeinde, der sich bei der Kirche für das Projekt bedankte. Er wusste zu berichten, dass derzeit nur eine Handvoll jüdischer Menschen in Lünen wohnt.

Die Gedenktafeln werden über die Sommermonate an dem Standort bleiben, gut sichtbar und gut erreichbar. denn sie stehen an einer viel benutzten Straße. „Hier kommen Menschen zu Fuß, mit dem Rad, mit Auto und Bus vorbei und bleiben auf dem Weg in die Lüner Innenstand hoffentlich oft stehen“, sagt Kytzia. „Wir meinen, das passt gut zur Erinnerungskultur in Lünen und zum Engagement der Zivilgesellschaft hier vor Ort“, erklären die beiden Initiatoren. Und sich zu erinnern – hilft hoffentlich dabei, Geschichte nicht zu wiederholen …

Foto: Sam Ogunnibi
So sah sie noch 1927 aus, die alte Synagoge. Insgesamt drei Gedenktafeln machen das jüdische Leben in Lünen jetzt wieder sichtbar.
Foto: Sam Ogunnibi