Dichterwettstreit in der Stadtkirche St. Reinoldi sorgte für viel Applaus
Man stelle sich vor: Sechs Pfarrerinnen und Pfarrer halten in einem Gottesdienst nacheinander eine Fünf-Minuten-Predigt. Am Ende entscheidet das Kirchenvolk mittels Applaus, welche Predigt ihm am besten gefallen hat.
Ein Gottesdienst dieser Art war der Poetry Slam (zu Deutsch „Dichterschlacht“) am 13. Januar abends in der Stadtkirche St. Reinoldi. 1986 in Chicago entstanden, verbreitete sich diese Veranstaltungsform in den 1990er Jahren weltweit. Aber in einer Dortmunder Kirche gab es sowas noch nie.
„Natürlich sind Slams in der Kirche noch ein ungewohntes Format“, weiß auch Stadtkirchenpfarrerin Susanne Karmeier. Zusammen mit dem evangelischen Bildungswerk Westfalen veranstaltete sie diesen Dichterwettstreit und eröffnete damit zugleich eine Reihe von Veranstaltungen, die sich durch das ganze Jahr der Evangelischen Kirche ziehen soll. „Kirche und Politik“ ist das Thema.
Davon handelten auch die in der Stadtkirche vorgetragenen Texte von fünf Dichtern und einer Dichterin. Jan Philipp Zymny aus Dortmund, Fee aus München, Bo Wimmer aus Marburg, Ken Yamamoto aus Berlin, Helge Goldschläger aus Düsseldorf und Temye Tesfu aus Berlin stritten mit ihren Texten um die Gunst der 450 größtenteils jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer.
Launig führte Sebastian 23, einer der bekanntesten und dienstältesten Slammer, durch die Veranstaltung. „Ich fragte mich, ob es geht, in einer Kirche eine Mütze zu tragen“, fing er an. Es geht –, in einer evangelischen Kirche darf man eine Mütze tragen, in einer katholischen nicht“, konnte er erleichtert feststellen. Denn die Mütze gehört selbstverständlich zu seinem Outfit in seinen Unterhaltungsshows dazu.
„In der ersten Runde treten zunächst zwei der sechs Künstler auf, die ihre selbst geschriebenen Texte präsentieren“, erläuterte er die Spielregeln. Der Sieger der beiden werde durch Applaus ermittelt und komme eine Runde weiter. Anschließend seien die nächsten zwei dran und schließlich die beiden letzten, um jeweils gegeneinander zu wetteifern.
So blieben im Finale drei übrig, die noch einmal ihr Bestes auf der Bühne vor dem Altar gaben und auf lautstarken Beifall hofften, um den Wettkampf erfolgreich zu bestreiten. Mit ihrem Gedicht „So einfach ist das eben nicht“, schlug die Theologiestudentin Fee kritische Töne zum Thema „Abtreibung“ an: „Wenn Männer abtreiben könnten, wäre die Abtreibung längst ein Sakrament.“
Helge Goldschläger verblüffte mit seinem modernen Bild von Jesus als einem „Straßenzauberer auf der Pfütze“, von dem alle nur ein Handy-Foto wollen.
„Als kleiner Junge bin ich häufig in die Kirche gegangen worden“, berichtete der Dortmunder Slammer Jan Philipp Zymny und aktuell deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. Seine Kindheitserlebnisse verarbeitet er in Texten.
Temye Tesfu und Ken Yamamoto äußerten mit ihren Gedichten Kritik an der Politik und dem herrschenden System. „Wir stecken im System, als wären wir USB-Sticks“, stellte Yamamoto fest.
Gegen Armut und vernichtende Waffen richtete sich ein Beitrag von Bo Wimmer mit dem Titel „Und eines Tages träumte ich, ich wäre der Papst“, der die Weisheit verkündete, dass Christen keine Kapitalisten sein können. „Ich fand mich großartig, nur Gott fand mich doof“, musste er enttäuscht feststellen.
Mit diesem Text behauptete er sich als Gewinner des Abends und warf die beiden anderen Finalisten Fee und Jan Philipp Zymny aus dem Rennen. „Als Preis bekommt der Sieger nun ein T-Shirt und die anderen bekommen als Trostpreis – ein T-Shirt“, verkündete Sebastian 23, um mit einem Fazit zu schließen: „Man muss sich gar nicht bemühen. Alle gewinnen.“
Diese für eine Kirche neue Veranstaltungsart kommentiert Pfarrerin Susanne Karmeier ganz einfach: „Wir scheuen uns nicht vor kritischen Worten – die Bibel selbst und die Kirchengeschichte sind voll davon.
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