Von Nicole Schneidmüller-Gaiser
Müsste man Weihnachten als Instrument ausdrücken – dann wäre es vermutlich für die meisten Menschen hierzulande eine Trompete. Erklingt „Oh Du fröhliche“, von einem Solisten auf dem Blasinstrument gespielt – dann ist Weihnachten. Aber nicht dort, wo die Geburt Jesu stattgefunden hat. Wenn sich in der Umgebung von Bethlehem am Heiligen Abend die Christus-Pfadfinder auf den Weg machen, um in einer Parade zur Weihnachtskirche in die Altstadt zu ziehen, dann erklingen: Dudelsäcke! Sam Qassis holt ein Handy aus der Tasche und spielt der verdutzten Journalistin ein Video vor. „Das sind jordanische Weihnachtsmelodien, die traditionell auf dem Dudelsack gespielt werden“, erklärt der 24-Jährige. Seit zwei Monaten lebt der junge Mann in Dortmund, wohnt im Volunteershouse des Evangelischen Kirchenkreises in einer internationalen WG, arbeitet in einer Kita und in der Christus-Kirchengemeinde im Dortmunder Westen – und verbringt in diesem Jahr die Feiertage erstmals ohne seine Familie und fern der Heimat.
Nur vier Flugstunden liegen zwischen dem Ruhrgebiet und Bethlehem – doch das Leben, das der junge Sportlehrer jetzt führt, ist so ganz anders als alles, was er bisher erlebt hat. „In meiner Heimat gehöre ich einer religiösen Minderheit an“, erzählt der Sohn einer Religionslehrerin. Sams Mutter arbeitet in Talitha Kumi, einem weit über Beit Jala hinaus bekannten evangelischen Schulzentrum, das christlichen und muslimischen Mädchen und Jungen einen geschützten Raum bieten will. Die Christ*innen sind mittlerweile eine geschrumpfte Minderheit in der Heimat Jesu; nicht einmal mehr zwei Prozent der Bewohner Palästinas sind christlich. Und von den wenigen sind nur etwa zwei Prozent protestantisch. „Ich schätze, es sind etwa 400 Familien“, vermutet Jens Nieper, Sams Ansprechperson und Pfarrer in der Christus-Kirchengemeinde. Der Theologe hat selbst viele Jahre in Israel / Palästina gelebt – einem Landstrich zwischen Libanon und Ägypten, der für die einen das heilige, für die anderen das gelobte und für die dritten das gestohlene Land ist. Nichts ist unpolitisch in der Region.
Unsere Vorstellungen von Weihnachten, von der Geburt Jesu und dem, was dem christlichen Glauben nach in einem schlichten Stall begonnen hat, sind stark geprägt von unserer eigenen, westlichen Wirklichkeit. Jesus hat in nicht wenigen Darstellungen blaue Augen und sogar blonde Haare; gerade auf älteren Bildern, die sein Leben und Wirken darstellen sollen, sieht Christus einem Ritter der Tafelrunde manchmal ähnlicher als einem Zimmermannssohn aus dem Nahen Osten. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass er wie Sam schwarze Haare und braune Augen hatte, doch recht groß.
Tannenbäume sucht man in Palästina eher vergeblich – viel zu warm ist es in der Wüstenregion. „Und weil es bei uns insgesamt viel weniger Bäume gibt als in Deutschland, stellen wir in der Adventszeit künstliche Bäume auf, oder schmücken die Palmen im Garten“, berichtet der Volunteer, der für ein ganzes Jahr in Dortmund bleiben will. Dass man für einen einzigen Weihnachtsbaum tausende von Nadelbäumen „verbaut“, wie auf dem Hansaplatz – das beeindruckt den jungen Mann sichtlich.
Aufgestellt wird die künstliche Tanne in seiner Familie, zu der neben den Eltern ein Bruder und eine Schwester gehören, schon am 1. Dezember – und sie bleibt bis Mitte Januar stehen. Neben Kugeln und Lichterketten das wichtigste Detail: Der Stern. Schließlich liegen die Felder, auf denen der Engel einst den Hirten erschien, am Stadtrand von Bethlehem – als noch Touristen ins Land kamen, waren die „Sheppard Fields“ eine beliebte Attraktion im benachbarten Beit Sahour. Und darum gehören auch Krippen – oft mit kunstvoll aus Olivenholz geschnitzten Figuren – zur Weihnachtsdeko.
Anders als hierzulande, gibt es an Weihnachten in Sams Heimat nur Geschenke für die Kinder. „Aber wir besuchen uns alle gegenseitig, und da bringt man sich dann schon eine Kleinigkeit mit – Plätzchen oder Schokolade, oder eine Flasche Wein.“ Mal abwarten, wie er die Geschenkeberge bewerten wird, wenn er sein erstes „deutsches“ Weihnachten erlebt hat – für die Feiertage steht ein Besuch bei einem Onkel an, der in Braunschweig lebt.
Ein wenig überrascht zeigt sich Sam Qassis über die Unzufriedenheit, die ihm manchmal in Deutschland begegnet. „Die Leute sagen, hier wäre alles so teuer“, wundert er sich. In seiner Heimat hatte er zuletzt vier Jobs gleichzeitig, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Als Volunteer arbeitet er nun halbtags im Kindergarten – und in der Gemeinde kümmert er sich vor allem um den Jugendtreff. „Zu meinen Aufgaben gehört es, den Kindern ein Freizeitangebot zu machen – wir spielen Tischtennis oder Billard, schauen Filme, machen Musik oder essen Kuchen. Ehrlich: Das Leben hier ist gut.“
Die evangelischen Kirchen in Palästina
Jerusalem – Erlöserkirche
Bethlehem – Weihnachtskirche
Beit Jala – Reformationskirche mit Abrahams Herberge
Beit Sahour – Ev. Lutherische Gemeinde
Ramalla – Kirche der Hoffnung
Amman (Jordanien) – Kirche zum Guten Hirten