Von Nicole Schneidmüller-Gaiser
Entspannt. Oder neudeutsch: Chillig. Das ist der erste Eindruck, den die Gäste beim Betreten des „Wichern-Wohnungslosenzentrums“ aufnehmen. Die Fenster sind halb verdunkelt, über dem großen Kamin läuft eine Nachrichten-Sendung ohne Ton, an der langen Seite sitzen Menschen in bequemen Polstermöbeln, ruhen aus, lesen oder blicken auf ihre Handys. Für sie ist der Raum tatsächlich zu einem „Wohnzimmer“ geworden, in dem sie sich vom Leben auf der Straße ausruhen können. Für die Gäste, die heute auf Einladung von Christiane Wurst und Barbara Temminghoff vom Dortmunder Spendenparlament Spendobel ins Haus kommen, ist es größtenteils die erste persönliche Begegnung mit dem Thema Wohnungslosigkeit. Und doch haben sie alle finanziell dazu beigetragen, die diakonische Einrichtung zu finanzieren …
Spender können sich von Sinnhaftigkeit überzeugen
Zweimal im Jahr, im Mai, buchen die Präsidentin und ihre Geschäftsführerin einen Bus. Einen großen Bus. Denn das Interesse der Bürgerinnen und Bürger, die regelmäßig Spendobel unterstützen, ist riesig. Drei Projekte, die in den zurückliegenden Monaten gefördert wurden, werden dann vorgestellt – als Verwendungsnachweis, wenn man so will, vor allem aber auch als Einladung, sich intensiver von der Bedeutung zu überzeugen, die eine Spende für eine Einrichtung, ein Projekt, und vor allem für die Menschen hat, die dadurch unterstützt werden.
Insgesamt sind es knapp 60 Mitreisende, die an zwei Abenden sichtlich beeindruckt den Worten von Timo Stascheit folgen. Als Bereichsleiter hat er die Planung und den Umbau des früheren Gemeindehauses in der Dortmunder Nordstadt, in dem später ein Kulturzentrum und zuletzt eine Kindertagesstätte untergebracht waren, eng verfolgt. „Heute bieten wir hier nicht nur einen würdevollen Aufenthaltsraum samt Selbstversorger-Küche und Schlafraum, sondern sichern auch für 700 Menschen die postalische Erreichbarkeit“, berichtet er den interessieren Besuchern. Im Nebentrakt ist die Beratungsstelle untergebracht, die schon mehr als 260 Menschen aus der Wohnungslosigkeit eine Wohnung vermitteln konnte; mehr als 430 Personen konnten zudem in Arbeit bzw. Einkommen gebracht werden.
Überzeugungstäter unter sich
Im Keller des Hauses, durch den die Spendobel-Unterstützer*innen nun in kleinen Gruppen geführt werden, wird es noch handfester: Neben einer Kleiderkammer und der medizinischen Ambulanz gibt es Duschen, Waschmaschinen und Trockner. Das „Waschcafé“, in dem die Menschen, frisch geduscht, auf ihre ebenfalls frische Wäsche warten können, wurde durch Spendobel ermöglicht –Diakonie-Mitarbeiterin Martina Herold beantwortet zahlreiche Fragen und es ist spürbar, wie sehr sie hinter dem diakonischen Angebot steht.
Das spürt man auch bei Christiane Wurst, Präsidentin von Spendobel seit knapp eineinhalb Jahren und echte „Überzeugungstäterin“. Sie prüft alle Projektanträge auf Herz und Nieren, bevor sie zur Entscheidung dem Spendenparlament vorgelegt werden – und ihre Begeisterung wirkt ansteckend, auch heute wieder: „Hier wurde wirklich etwas geschaffen, was Qualität hat“, schwärmt die Dortmunderin. „Durch die Angebote können die Gäste des Hauses ihre angeborene Menschenwürde wieder spüren.“ Und ergänzt, mit Blick auf die ansprechenden, qualitativ hochwertigen Möbel, die Spendobel ermöglicht hat: „Wenn mich einer fragt: Muss das denn alles so `schön´ hier sein – dann sage ich: Ja.“
Spendobel schafft besondere Verbindungen
Seit seiner Gründung im Jahr 2001 hat Spendobel schon mehr als 1,5 Millionen Euro eingeworben. Ein Schlüssel zum Erfolg ist sicher die Glaubwürdigkeit, die sich durch das vom Evangelischen Kirchenkreis angestoßene und seit Jahren finanzierte Spendenparlament zieht: Die ausgewählten Projekte überzeugen durch ihre Konzepte und authentische MitarbeiterInnen, es herrscht Transparenz in allen Schritten zwischen Projektantrag bis zur Förder-Bewilligung, und durch die Möglichkeit, auf der Rundfahrt auch die Umsetzung eines Projektes in Augenschein zu nehmen, entsteht eine besondere Verbindung zwischen Spender*innen und Empfänger*innen.
Auf dem Weg zum zweiten Projekt des Abends berichten Katerina Papaetstathios und Berit Coenders von den „Klangliegen“, die mit Spendobel-Mitteln für die Städtischen Kliniken angeschafft werden konnten. „Bei Frühchen sind die Sinne noch nicht ausgereift; in einer Klangliege können sie trotzdem Musik wahrnehmen, alles vibriert, wirkt anregend und entspannend“, erläutern die beiden Projektbetreuerinnen. Aber auch bei älteren Kindern oder Jugendlichen kann eine begleitende Musiktherapie helfen, Schmerzen und Ängste zu lindern. Medizinisch gibt es, so erfahren die Spendobel-Mitreisenden, keinen Zweifel an der positiven Wirkung von Musik – doch ohne die Spendenbereitschaft der Dortmunder Bevölkerung, die in diesem Fall mehr als 9000 Euro zusammengetragen hat, hätte sich das Klinikum den Traum von einer Klangliege nicht erfüllen können.
Für zehn Projekte wurde gesammelt
Insgesamt zehn Projekte hat das Spendenparlament für eine Förderung ausgewählt; einmal im Jahr kommen dazu 125 Parlamentarier zusammen und beraten über die eingegangenen Anträge. Die Rundfahrt ist, wenn man so will, Rechenschaftsbericht und Akquise in einem. Denn über das, was sie heute sehen und erfahren, werden die TeilnehmerInnen gewiss im Freundeskreis erzählen – und so hoffentlich weitere Spender gewinnen.
Zum Abschluss gibt für die es noch einen Halt in Hörde – hier stellen Marco Janiel und Nina Sexauer das Projekt „Popkultur goes Handwerk“ vor. Viele sozial benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene sind durch Corona noch stärker ins Hintertreffen geraten, als sie es eh schon waren. Sie leben in einem Umfeld von Armut, Verweigerung, Depression oder Kriminalität und Fremdenfeindlichkeit. Die Anerkennung, die sie im Rahmen des Projektes erfahren, stärkt ihr Selbstbewusstsein, ihren Leistungswillen und ihre Motivation. Das verbessert wiederum ihre Chance auf eine Berufsausbildung und ihre soziale Integration. „Das Weltbild der Jugendlichen, die zu uns kommen, ist oft kaputt. In der Schule haben sie nur Niederlagen erlebt, manche sind zu Hause rausgeflogen – hier versuchen wir erst einmal, positive Erlebnisse zu schaffen“, erzählt Anleiter Marco. Mit Kunst, Theater und Handwerk wählen die Pädagogen bewusst kreative Zugänge: „Am Anfang sind wir seeehr kuschelig“, beschreibt er ein Konzept, das nicht auf Sanktionen und Bestrafung setzt.
Die Anerkennung, die sie im Rahmen des Projektes erfahren, stärkt das Selbstbewusstsein der Jugendlichen, ihren Leistungswillen und ihre Motivation. „Immerhin 60 Prozent der Teilnehmer*innen halten durch und bekommen einen Schulabschluss der Klasse 9“, erfahren die Spendobel-Besucher*innen. Auch in diesem Projekt ist das gespendete Geld – in diesem Fall knapp 8000 Euro – gut angelegt. Mit einem guten Gefühl trennen sich die Teilnehmenden der Spendobel-Rundreise sicher nach knapp drei Stunden – und in dem Wissen, dass ihre Spenden ihren Zweck erfüllt haben.
Bildzeilen:
Hörde (Bitte groß mitnehmen): Gruppenbild in Hörde. Christiane Wurst (4.v.r.), Präsidentin des Spendenparlaments Spendobel, Geschäftsführerin Barbara Temminghoff und Superintendentin Heike Proske (rechts) freuen sich über das große Interesse an der Spender-Rundfahrt. An insgesamt zwei Abenden besuchten fast 60 SpenderInnen einige der geförderten Projekte.
Wichern (bitte kleiner ins große Bild rein …): Geschäftsführerin Barbara Temminghoff (Kleines Bild links) steckt viel Arbeit in die Spendobel-Rundfahrten. Zeit, die sich lohnt – Transparenz ist ein hohes Gut und schafft Glaubwürdigkeit, wenn es um Spenden geht. Fotos (2): niki