Das Unbekannte vor der eigenen Haustür
Das junge Mädchen mit dem grünen Kopftuch hebt vorsichtig den Vorhang und schaut zu den Männern nach unten. Das Foto zeigt ein Freitagsgebet in einer Gelsenkirchener Moschee. Die Männer beten unten, die Frauen oben. Auf dem Foto direkt daneben schaut ein kleiner Junge auf dem Arm seines Vaters am Betrachter vorbei nach oben. Im Hintergrund sind unscharf Kreuz und brennende Kerzen zu erkennen. Die Szene hat Brigitte Kraemer bei einem afrikanischen Gottesdienst in Essen aufgenommen.
30 ihrer Fotografien präsentiert Kraemer, eine der angesagtesten Fotografinnen Deutschlands, in der Ausstellung „In gutem Glauben – Religiöse Vielfalt im Ruhrgebiet“. Eröffnet wurde sie in der Lünener Stadtkirche St. Georg am 15. September. Kraemers Bilder zeigen Buddhisten in Bochum, Hindus in Hamm, Orthodoxe in Oberhausen. Zusammen mit den Christen beider Konfessionen, Juden und Muslimen, Hindus und Sikhs geben sie einen Einblick in das, was uns regional eigentlich ganz nahe, „aber doch fremd ist“, so Pfarrer Rüdiger Holthoff bei der Ausstellungseröffnung. Die Fotografien zeigen Menschen, die ihren Glauben leben, der jedoch ein anderer Glaube ist als unserer.
Darf man eigentlich eine solche Ausstellung in einer christlichen Kirche zeigen? ist Holthoff gefragt worden. Und er antwortet bestimmt: „Ja, man darf.“ Denn man solle die Religion anderer respektieren und zur Toleranz auffordern. Die Ausstellung ist deshalb auch ein Bestandteil des Jahresthemas der Evangelischen Kirche „gottesfarben – für Toleranz und Vielfalt“. Über diese Vielfalt freute sich Superintendent Winfried Moselewski . In seinem Grußwort erinnerte er daran, dass „unsere religiöse Tradition nicht gerade von Toleranz geprägt ist.“ Umso begrüßenswerter sei es, dass heute die Vielfalt dazu gehöre.
Die Fotografien von Kraemer entfalten ihre Wirkung auf die Betrachter, weil sie nicht gestellt sind. „Augen und Ohren offenzuhalten“, so Kraemer, sei für sie wichtig gewesen, um die Vielfalt des Themas festzuhalten. Dabei ist es ihr gelungen, auch intime Glaubenssituationen festzuhalten. „Ich versuche deshalb, diskret und ruhig zu sein.“ Ihre Bilder sind das Ergebnis ihrer Beobachtung, nicht des Arrangierens, Hinzufügens oder Weglassens. So gelingt es ihr, das Unbekannte vor der eigenen Haustür wahrzunehmen.