08.03.2017 // Luther und die Reformation aus jüdischer Sicht

Unheilspuren des Protestantismus

Martin Luther – war er ein Stichwortgeber für die Nazis oder ein Vorläufer der Aufklärung?

Luther und die Reformation aus jüdischer Sicht

Martin Luther – war er ein Stichwortgeber für die Nazis oder ein Vorläufer der Aufklärung? Obschon seine berüchtigte Schrift von 1543 („Von den Juden und ihren Lügen“) die Juden als „rechte Teufel“  bezeichnet, deren Synagogen man abbrennen soll, ist die jüdische Sicht auf Luther und die Reformation differenziert.

In einem fakten- und kenntnisreichen Vortrag hat Prof. Dr. Christian Wiese einen ganzen Reigen jüdischer Stimmen entfaltet, angefangen von Zeitgenossen der Reformation bis hin in das 20. Jahrhundert.

Prof. Wiese hat die Martin-Buber-Professur für jüdische Religionsphilosophie an der Universität Frankfurt inne. Er lehrt u.a. in Sussex, Montreal und Philadelphia. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehung und der Antisemitismus.

Der Abend in der Stadtkirche St. Petri war Auftakt des Begleitprogramms zur Ausstellung „Ecclesia und Synagoga“. Veranstalter waren die Stadtkirche St. Petri, die Volkshochschule, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und die Evangelische Akademie Villigst.

Zwei Traditionslinien gebe es in der Lutherrezeption jüdischer Gelehrter, so Wiese. Als fürsten- und autoritätsgläubig, von einer Spiritualität, die nicht ethisch begründet sei, wird er von der einen charakterisiert.

So sieht Ludwig Börne den Reformator als Totengräber des deutschen Freiheitswillens. Andere schätzen ihn als Verfechter von Toleranz, Wissensfreiheit und Gleichberechtigung. Beispielsweise Heinrich Heine, der ihn „als Mensch und Person beeindruckend“ findet.

Die jüdischen Interpreten würden, so Wiese, oft einen Bruch zwischen dem frühen Luther (1523, „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“) und dem späten sehen. Angeblich hätte es einen „dramatischen Wandel“ gegeben. Wiese folgt dieser Argumentation – wie auch andere Wissenschaftler – nicht.

Zweifelsfrei sei sein späteres Werk „eine der gehässigsten Schriften, deren Wirkung bis ins 20. Jahrhundert dauert.“ Doch auch für den frühen Luther seien Juden Feinde des Christentums.

Die positive jüdische Deutung Luthers sei eine „verzweifelte und beschwörende Botschaft“ an den Protestantismus: der authentische Luther sei nicht antisemitisch. Aber dieser Versuch, eine Gegengeschichte zu formulieren, sei gescheitert. Denn der Ansprechpartner, der Protestantismus, habe nicht reagiert. Der gewünschte Dialog sei ein Monolog geblieben.

Foto: Stephan Schütze
Bildzeile: Prof. Dr. Christian Wiese referierte über die jüdische Sicht der Reformation. Neben ihm Dr. Sabine Federmann von der Ev. Akademie Villigst und Stadtkirchenpfarrerin Almut Begemann (v.l.).