Prof. Jürgen Ebach predigte in St. Reinoldi
Wie viel Politik gehört auf die Kanzel? Kann eine Predigt unpolitisch sein? Um strittige Fragen ging es am 4. Mai 2014 in der Stadtkirche St. Reinoldi. Hinter dem goldenen Adlerpult stand ein prominenter Prediger: Prof. Jürgen Ebach war bis Februar 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Exegese und Theologie des Alten Testaments und biblische Hermeneutik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Er wurde bekannt durch zahlreiche Bücher und Vorträge.
Über das Verhältnis von Kirche und Politik nachzudenken, lohnt sich, unterstrich Superintendent Ulf Schlüter in seiner Begrüßung. Er erinnerte an die jüngste Pastorenschelte: „Er hält sich wohl immer noch für einen Pastor, er war ja mal einer“. Scharf hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip auf kritische Worte von Bundespräsident Gauck reagiert.
Gauck nahm es gelassen: „Ich habe mir erlaubt, das zu tun, was ich immer tue. Nämlich die kritischen Themen, die in einer Gesellschaft diskutiert werden, aufzunehmen.“ Nicht nur der aktuelle diplomatische Schlagabtausch beweist es: Kirche und Obrigkeit geraten aneinander, oder begünstigen sich unrühmlich. Gerade der Protestantismus hat Fürsten und Kaiser gestärkt und den Nationalsozialismus gefeiert.
Ebach stellte gleich zu Beginn seiner Predigt klar: Auf der Kanzel gehe es nicht darum, die politischen Ansichten des Einzelnen als die einzige Richtigen auszugeben. Es gehe darum, die Parteinahme der Bibel für Gerechtigkeit und Frieden zu Gehör zu bringen. Dazu beleuchtete Ebach die Rolle des Pastors, also des Hirten, und räumte zunächst mit idyllischen Verklärungen auf.
Die Vorstellung von hinterher trottenden Schafsherden reibt sich mit einer „erwachsenen, demokratisch verantworteten protestantischen Lebenshaltung.“ Vom Kitsch befreit werde das biblische Hirte und Herdebild aber politisch-widerständig. Wer Gott als Hirten versteht, der lässt sich nicht von anderen zum Schaf machen. Hier ist der aufrechte Gang begründet.
Wir leben in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft. Das ist gut so. „Gott als den Herrn und den Hirten zu bekennen, fordert keinen christlichen Staat.“ Ebach zitierte eine Karikatur, die Deutschland mit seinem Pastorenpräsidenten und der Pfarrertochterkanzlerin als Gottesstaat auf die Schippe nimmt. In der humorvollen Distanz erkenne man am besten, „was wir nicht sein wollen.“
Hier gönnte sich Ebach einen kleinen Seitenhieb auf die Debatte des evangelischen Familienpapiers. Gauck und Merkel sind in ihren Beziehungen nicht dem bürgerlich-kirchlichen Ideal gefolgt. Dies zeige, dass es „mehr als nur eine Weise der verantwortbaren Lebensführung gibt. Auch das ist evangelische Freiheit.“
Ebach spitzte seine Ausführungen auf das Verhältnis zwischen dem Gott des Friedens und der menschlichen Vernunft zu. Im hebräischen Verständnis vom „Frieden“ haben die Menschen „genug“, sie sind vergnügt und zufrieden. Die kritische Vernunft kann und darf sich damit nicht zufrieden geben. Im Frieden Gottes sind die rastlosen Fragen der Vernunft aufgehoben.
Ein frommer Kurzschluss droht, wenn Gottvertrauen dazu führt, passiv zu werden. Ebach veranschaulichte dies mit einer Geschichte aus dem chassidischen Judentum. „ Der Glaube hat zuerst da seinen Ort, wo Menschen etwas Gutes tun können und es dann auch tun.“
„Reformation und Politik“ lautet das Jahresthema der Evangelischen Kirche. Die Predigtreihe in St. Reinoldi lädt prominente Gastprediger ein, die laut nachdenken über „Obrigkeit und Mündigkeit, Glaube und Macht, Gewissensfreiheit und Menschenrechte“.
- Die Predigt von Prof. Jürgen Ebach zum Herunterladen:
predigt_ebach_140504.pdf , Größe 268 KB - Mehr zum Jahresthema 2014