04.06.2023

„Wir wollen als Kirche mitten im Leben sein“

Sommersynode des Evangelischen Kirchenkreises: Halt geben und Wandeln in fragilen Zeiten

Von Nicole Schneidmüller-Gaiser

 „Wir wollen als Kirche mitten im Leben sein: lebendig, mutig, ansprechend. Dabei müssen wir zukünftig aber auf vieles verzichten: Gebäude, Strukturen, Finanzen, Personal. In diesem Paradox liegt unsere Zukunft, unsere Hoffnung, unsere Aufgabe, unsere Sehnsucht.“ Stille liegt über dem großen Saal im Reinoldinum beim Bericht der Superintendentin Heike Proske. Sie erfahren eigentlich nichts Neues, die Vertreterinnen und Vertreter der 28 Gemeinden, gemeinsamen Dienste und Einrichtungen, die sich an diesem Samstag zur Sommersynode des Evangelischen Kirchenkreises getroffen haben. Einige nicken, manche denken vielleicht an die Einschnitte, die sie schon vornehmen mussten: Kirchen, die geschlossen, Gemeindehäuser, die einer anderen Nutzung zugeführt werden mussten. In einer Stadt wie Dortmund ist es schon lange nicht mehr selbstverständlich, dass man in eine der christlichen Kirchen hineingeboren wird. Oder Mitglied bleibt. „Kirche in fragilen Zeiten“ ist der mehrdeutige Arbeitstitel der Sommersynode 2023. 

Kirchenleben in Zahlen

219 Menschen aus Dortmund, Lünen und Selm bilden das oberste Organ des Kirchenkreises – 170 davon sind gekommen, um sich bei strahlendem Sonnenschein mit ihrem Herzensthema zu beschäftigen: Wie geht es weiter mit ihrer Kirche? Wie können sie gut sein und besser werden? Wie attraktiv bleiben für die, die noch da sind, aber auch die erreichen, die noch nicht oder nicht mehr dazugehören? Und wie geht das alles mit weniger Geld, höheren Kosten, weniger Personal?

Es gibt Zahlen, die ernüchtern. Waren noch 1990 mehr als 72 Prozent der deutschen Bevölkerung Mitglied in einer der großen Kirchen, ist die Zahl im Frühjahr 2022 erstmals seit Jahrhunderten unter 50 Prozent gefallen. Doch Heike Proske, die gemeinsam mit ihren beiden Stellvertretungen Leonie Grüning und Michael Stache das Theologische Leitungsteam (TLT) bildet, setzt andere Zahlen dagegen: „In unserem Kirchenkreis arbeiten 1706 Menschen aus mindestens 21 Ländern. Wir dürfen jeden Tag mit 4808 Kindern in 68 Kindertageseinrichtungen lernen. In 33 Grundschulen im Offenen Ganztag begleiten wir 5147 Kinder auf ihrem Lebensweg.“ Die Kirche und ihre Diakonie sind durchaus für viele Menschen in der Stadt wichtig und relevant, in Beratungsstellen, als Orte der Begegnung, in der Pflege oder als Bildungseinrichtung – aber viele merken das gar nicht, denn missionarisches, offensiv religiöses Auftreten schreckt in einer zunehmend säkularen Welt eher ab. So bleibt manches Gute in der „christlichen Bubble“.

„Kirche ist ein lebendiges System“

Zum Wesen des Christentums gehört, quasi als DNA des Glaubens, die Hoffnung. Daran erinnert Peter Böhlemann, Leiter des Instituts für Aus- Fort- und Weiterbildung der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) in seinem Impulsreferat: „Die Kirche ist sowohl theologisch als auch organisationstheoretisch ein lebendiges System. Kein Geld der Welt, nur der Geist Gottes, wird sie überleben lassen.“ Er ermuntert die Anwesenden zu Veränderungen, auch wenn sie Widerstände hervorrufen, und dabei Strategien zu entwickeln, die immer wieder nach dem „Warum“ fragen.

Das tun die Synodalen den Vormittag über in verschiedenen Workshops, fragen in Kleingruppen nach „Tun und Lassen“ und „Best practice“, nehmen Gebäudebedarf und -verwertung in den Blick und betrachten die Entscheidungs- und Beteiligungsmöglichkeiten in den Veränderungsprozessen. Dabei geht es konstruktiv und zukunftsorientiert zu – die Personalplanungsräume und eine verlängerte mittelfristige Finanzplanung werden im weiteren Verlauf der Synode als hilfreiche Instrumente beschlossen; daneben senden die Dortmunder per Beschluss ein Signal in Richtung Landeskirche und fordern das Gremium auf, den Einfluss bislang stimmberechtigter Mitarbeiter des Landeskirchenamtes zu korrigieren. 

Zukunftsprozess im Kirchenkreis

„Der Kirchenkreis Dortmund hat sich ja bereits vor Jahren auf den Weg gemacht“, betont Michael Stache und stellt den weiteren „Zukunftsprozess im Kirchenkreis“ zur Abstimmung. „Es ist an der Zeit, dem Ganzen mehr Gestalt, Form und Nachdruck zu verleihen“, betont der Ständig Stellvertretende Superintendent. Die Synodalen beschließen mit großer Mehrheit, den Prozess auf den Ebenen Gemeinden, Kirchenkreis und Verwaltung konzentriert weiterzuführen; zunächst sollen Schwerpunkte in den neuen Kooperationsräumen definiert und ein Zukunftsbild für die kreiskirchlichen Aufgaben und Dienste entwickelt werden. Die Verwaltung als Dienstleister soll diese Prozesse unterstützen. Dafür stellt die Synode ein Budget in Höhe von 50.000 Euro zur Verfügung – auf der Sommersynode 2024 erwarten die Synodalen einen Zwischenbericht.

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Corona, Krieg, steigende Lebenshaltungskosten – viele Menschen sorgen sich und empfinden den Alltag als beängstigend. Um Steuern zu sparen, treten viele aus den Kirchen aus. Foto: niki