Von Nicole Schneidmüller-Gaiser
Warten. 24 Stunden am Tag. Sieben Tage in der Woche. Bis zu 24 Monate. So lange dauert es unter Umständen, bis das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BamF) über einen Asylantrag entschieden hat – und so lange müssen Menschen auf der Flucht, die allein reisen, in der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes NRW in Dortmund-Oespel bleiben. Zu tun gibt es da nicht viel – und am Ende einer oft dramatischen Flucht müssen die Asylsuchenden vor allem Geduld aufbringen. Eine Delegation des Evangelischen Kirchenkreises, darunter Vertreter*innen der Facharbeitsgruppe Flucht und Asyl um Pfarrer Friedrich Stiller und Superintendentin Heike Proske, besuchte jetzt die vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betriebene Einrichtung – um zuzuhören, um zu sehen, wo sie helfen können und um berichten zu können, wie es den dort Menschen geht.
Kein Tag vergeht, an dem nicht Menschen ihr bisheriges Leben hinter sich lassen – Ende 2023, so berichtet die UNO-Flüchtlingshilfe, waren unvorstellbare 117,3 Millionen Menschen auf der Flucht. 200 von ihnen leben seit Mitte Januar in Oespel – in einem ehemaligen Hotel. Das hatte bei den „üblichen Besorgten“ im Vorfeld natürlich für Unmut gesorgt: Soso, in einem Hotel lasse man die Flüchtlinge wohnen – an Kritik wurde bei den aufgeheizten Infoveranstaltungen Ende des vergangenen Jahres nicht gespart. Christian Höfener-Wolf, Pfarrer in der Ev. Elias-Kirchengemeinde, erlebte als einer von vielen in der Flüchtlingsarbeit Engagierten damals großen Zorn und hörte über die Angst vor einer unsicheren Nachbarschaft, wenn die Geflüchteten erst einmal da wären. Nun schaut er sich um: Was ist von der Aufregung geblieben?
An diesem Sommertag liegt die ZUE still in der Sonne. Bis zum Ortskern von Oespel ist es ein längerer Fußmarsch; die nächsten Nachbarn leben 300 Meter entfernt. „Alles friedlich, es gab ja einigen Widerstand aus der Bevölkerung, aber das hat sich alles gelegt“, erzählt „Umfeldmanager“ Christian Strauß vom DRK jetzt den Gästen. Seine Aufgabe ist es, den Dialog zwischen der Zivilgesellschaft und den Zugezogenen zu verbessern, und ehrenamtliche Unterstützung für die Menschen im Haus zu entwickeln.
Beim Gang durch die untere Etage des ehemaligen Hotels kommt die Gruppe an erschöpft wirkenden Menschen vorbei. Einige telefonieren, viele schauen ins Handy – die meisten dösen im Schatten vor sich hin. Es ist ein extrem warmer Tag – doch die Erschöpfung rührt wohl eher vom Nichtstun, vom Warten – und von der fehlenden Tagesstruktur. „Irgendwann wissen sie nicht mehr, welcher Wochentag eigentlich ist“, erzählt einfühlsam Tatjana von Westerholt vom Diakonischen Werk, die im Haus Beratung für die Asylverfahren anbietet.
Das DRK ist für die Standards im Haus zuständig: Essen, Wäscheausgabe, Reinigung, medizinische Versorgung, Sicherheit. Im Erdgeschoss leben allein reisende Frauen, für sie gibt es auch einen separaten Raum, in dem sie sich geschützt vor den Blicken der Männer aufhalten können. Die beiden mittleren Etagen sind Familien mit Kindern vorbehalten, diese dürfen und müssen nach maximal sechs Monaten wieder ausziehen – dann sind sie „kommunale Flüchtlinge“, was für die Kinder bedeutet, dass sie dann endlich wieder zur Schule gehen dürfen. Was es in der ZUE an Kinderbetreuung und Sprachkursen gibt, ist keine Pflichtaufgabe – das DRK versucht nach Kräften, die Zeit für die Menschen sinnvoll zu gestalten, doch über weite Strecken des Tages gibt es in einer Unterbringungseinrichtung einfach nichts zu tun.
In der vierten Etage schließlich leben „alleinreisende Männer“. Über sie gibt es die meisten Vorurteile, vor ihnen gibt es die größten Ängste – dabei sieht man vielen der traurigen Gestalten ihre Sehnsucht nach zu Hause und der Familie an. Oft werden junge, unverheiratete Männer von den Verwandten losgeschickt, den Weg nach Europa zu wagen – um mit dem Geld, das sie dort verdienen sollen, die Familien in der Heimat zu unterstützen. Doch von einer Arbeitsaufnahme sind sie während des Asylverfahrens weit entfernt, sind zur Untätigkeit gezwungen. Zum Warten.
Die Gründe für eine Flucht sind individuell. Menschen fliehen vor Krieg, Gewalt, aus Angst vor Beschneidung, vor Folter oder einer Zwangsehe. Menschen fliehen vor Armut oder vor den Folgen einer Naturkatastrophe. Menschen verlassen ihre Heimat, weil sie keine Perspektive mehr haben oder weil sie sich ein besseres Leben für ihre Kinder wünschen. Weil sie verfolgt werden – wegen ihrer Religion, wegen ihrer politischen Ansichten oder wegen ihrer sexuellen Orientierung. Wohl niemand geht „einfach so“.
Die Vertreter*innen des Kirchenkreises verlassen die Einrichtung nach knapp zwei Stunden wieder. Sie werden berichten, dass ein Hotelzimmer, mit vier Betten belegt, weit weg von Luxus ist. Von Kantinenregeln, die nur wenig Rücksicht auf die kulturellen Gewohnheiten der Menschen nehmen können. Von Spielzimmern, in denen kein Kind spielt und von Gartenbänken, auf denen niemand sitzt. Sie werden vermutlich in ihren Gemeinden Mitstreiter*innen suchen, um sinnvolle Freizeitaktivitäten für die Menschen anbieten zu können. Singen, Basteln, Sport, Sprachkurse – es ist fast egal, Hauptsache eine Ablenkung vom Warten. Sie werden in ihren Gremien und Arbeitskreisen überlegen, wie sie das DRK, vor allem aber die Menschen unterstützen können, um dem Lagerkoller vorzubeugen. Und vielleicht werden sie am Abend daheim von diesem beeindruckenden Besuch erzählen, von dem respektvollen Umgang, den sie erlebt haben, aber auch von einer bedrückenden Traurigkeit, die mit Händen zu greifen ist.