06.04.2021

Mischszene am rechten Rand?

Vortrag über Motive und Vorgehen der "Querdenker"

Betrachtung und Analyse der sogenannten ‚Querdenkerszene‘, die im Zuge der Corona-Krise entstanden ist, waren Inhalt einer Vortragsveranstaltung, zu der der Dortmunder Arbeitskreis "Christen gegen rechts" online eingeladen hatte. Referent war der Theologe Dr. Harald Lamprecht, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Sachsen.

Der evangelische Pfarrer, der die Aktionen der Querdenker-Bewegung von Beginn an verfolgt, stellte seinen Vortrag unter den fragenden Titel: „Ver-Querdenker – neue Mischszene am rechten Rand?“ Offenbar, so seine These, entstehe hier eine neue Mischszene von Corona-Leugnern, Anhängern von Verschwörungsmythen sowie Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. Auch vereinzelte Vertreter*innen mit eher linkem Hintergrund gesellten sich dazu.

Typologie der Teilnehmenden

Harald Lamprecht beschrieb die Personengruppen, die sich an den bundesweiten Protestaktionen beteiligen, in einer Typologie. Darin definierte er fünf Typen von ‚Querdenkern‘. Die Grundlage für Demonstrationen und Kritik bilden laut Lamprecht "Die Verärgerten". Sie seien angetrieben von der Unzufriedenheit über einschränkende Maßnahmen im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung, hielten die meisten Regeln für übertrieben und gingen zudem von ihrer Erfahrung aus, noch keine Ansteckungen in ihrem unmittelbaren Umfeld erlebt zu haben. Hinzu komme meist der Wunsch nach Eindeutigkeit und Klarheit, der bei aller Unzufriedenheit über einzelne Maßnahmen vorhanden sei.

Ihnen zugesellt habe sich sehr schnell die Gruppe der "Esoteriker". Hier handele es sich zumeist um ideologisch festgelegte Impfgegner, deren erklärtes Ziel es sei, einen vermeintlich drohenden Impfzwang zu verhindern. Ein Großteil dieser Gruppe komme aus dem Umkreis anthroposophischer Kreise. Eine weitere Gruppe des Querdenker-Umfelds, so Lamprecht, seien "die Fundamentalisten". Oft handele es sich um Vertreter*innen christlicher Gruppen. Sie witterten in den Pandemie-Verordnungen die Einschränkung ihrer Versammlungsfreiheit und der Ausübung ihrer religiösen Praktiken. Zudem gingen sie von einem Schutz allein durch ihren Glauben aus, der weitergehender Aktivitäten des Gesundheitsschutzes nicht bedürfe.

Als Besonderheit innerhalb der Szene beschrieb der evangelische Theologe das Phänomen, dass hier Gruppierungen miteinander demonstrierten und sich annäherten, die sonst ideologisch sehr weit voneinander entfernt seien. „Hier laufen Leute miteinander, die sich sonst spinnefeind sind“, beschrieb Lamprecht Situationen bei Querdenker-Demonstrationen.

Vierte Gruppe in der Szene, so Lamprecht, seien "die Antikapitalisten". Diese eher linksorientierte Gruppierung interpretiere den Lockdown als Verschleierung des ohnehin im Zusammenbruch befindlichen Finanzkapitalismus. Gegenwärtige staatliche Maßnahmen dienten aus ihrer Sicht lediglich als Alibi zur Fremdbestimmung. Und letztlich gehöre die große Gruppe der "rechten Trittbrettfahrer" dazu. Hier suchten rechte Gruppen, von Rechtspopulisten bis hin zu erklärten Neo-Nationalsozialisten den Schulterschluss. Sie nutzten mit der Bewegung alles, was die bestehende Ordnung destabilisiere. Ihr Ziel sei es, auf diese Weise mittelfristig eine neue Ordnung nach eigener Vorstellung – außerhalb des bestehenden demokratischen Rechtsstaats - zu etablieren.

AfD-Schwenk

Lamprecht verwies in diesem Zusammenhang auf die uneindeutige Haltung der rechtspopulistischen Szene rund um die AFD. Diese habe zunächst einen strikten Lockdown zur Pandemiebekämpfung gefordert und sei erst Monate später auf die Seite der Corona-Leugner umgeschwenkt.

Dass rechte Gruppen zunehmend Einfluss in der Querdenker-Szene gewinnen, lasse sich auch an der Färbung der Reden auf Demonstrationen und Versammlungen erkennen. Diese zeigten zunehmend ein demokratiefeindliches Niveau. Dennoch befinde man sich im Umgang mit der Bewegung in dem Dilemma, dass sich viele der Beteiligten nicht rechts außen verorteten. Lamprecht warnte in diesem Zusammenhang davor, die gesamte Szene von vornherein rechten Parteien und Gruppierungen zuzuschreiben, um diese nicht auf diese Weise aufzuwerten und zu stärken. Allen "Querdenkern" gemein sei allerdings die Utopie von einem Ende der Pandemie ohne entsprechende Maßnahmen und die Eigenschaft der Solidaritätsverweigerung.

Ein besonderes Augenmerk legte der Referent auf den Umgang mit Geld und die Rolle des Aktivisten Michael Ballweg. Jeder freiwillig gegebene Unterstützungsobolus fließe auf dessen private Konten. Grund sei, dass die Querdenker-Bewegung keine verfasste Organisation darstelle. Wer Geld zur Unterstützung gebe, leiste eine private Schenkung. Und die unterstehe, anders als Spenden an gemeinnützige Organisationen, keiner Transparenzpflicht.

Deutliche Haltungen

Als problematisch beschrieb Harald Lamprecht zudem vielerorts die Rolle der Polizei. Wenn, wie immer häufiger der Fall, eine Versammlung von "Querdenkern" seitens der staatlichen Ordnungskräfte geschützt würde, obwohl sie im Vorfeld höchstrichterlich verboten worden sei, und wenn die Polizei stattdessen lediglich gegen Gegendemonstranten vorgehe, dann grenze ein solches Verhalten an Staatsversagen und drohe, Grundlagen der Demokratie aufzuweichen.

Was also, so Lamprechts Frage am Schluss, sei zu tun, um den "Querdenkern" Einhalt zu gebieten? Der Theologe plädierte – gut lutherisch – für die Trennung von „Sünde und Sünder“.  Es gelte, Verschwörungsmythen deutlich abzulehnen. Den Menschen aber müsse man Zuwendung gewähren und alles daransetzen, sie wieder für die Vernunft zurückzugewinnen. Eine Spaltung der Gesellschaft, wie sie gelegentlich beschrieben werde, sehe er indes nicht, so Lamprecht. Vielmehr gehe es wie häufig um Interessenskonflikte. Vielleicht aber brauche die Gesellschaft mehr aktives Konfliktmanagement.