Name, Herkunft, Fundort, Todesursache: Mit einem eindrucksvollen Zeichen gegen das Vergessen hält die Reinoldikirche in diesen Tagen die Erinnerung an mehr als 60.000 Menschen wach, die auf der Flucht vor Armut, Krieg und Verfolgung an den europäischen Außengrenzen umgekommen sind. Im Auftaktgottesdienst zum Internationalen Weltflüchtlingstag unterstrich Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani am Sonntag, 16. Juni 2024, in seiner Kanzelrede den Wert dieser Erinnerungskultur – und des damit verbundenen Kampfes gegen das Sterben.
Wie im Vorjahr hat das Dortmunder Aktionsbündnis „Beim Namen nennen“ gemeinsam mit Bürger*innen, Schüler*innen und weiteren engagierten Menschen, die Daten von Umgekommenen auf Stoffstreifen geschrieben und für jeden Passanten unübersehbar vor der Kirche angebracht. „Das Schreiben geht die ganze Woche weiter, weil das Sterben nicht aufhört“, sagte Susanne Karmeier, Pfarrerin in St. Reinoldi, im Gottesdienst zum Internationalen Weltflüchtlingstag. Mehr als 62.620 Menschen sind seit 1993 beim Versuch, vor Armut, Krieg und Verfolgung nach Europa zu fliehen, ums Leben gekommen. Noch nie waren es so viele wie im vergangenen Jahr.
Sich engagieren, helfen oder bekämpfen, zumindest wegschauen – für Gastredner Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani, Inhaber des Lehrstuhls für Migrations- und Bildungssoziologie TU Dortmund, sind diese Extreme natürliche Pole des menschlichen Gemüts: „Unsere Gesellschaft bewegt sich zwischen absoluter Willkommenskultur und harter Abschottung. Wohin das Pendel im Moment ausschlägt, zeigt sich auch in der Verrohung unserer Sprache.“ Der Soziologe beobachtet, dass Wörter wie „Flüchtlingskrise“ sich früher auf den Auslöser der Flucht bezogen, heute aber die Geflüchteten als Auslöser der Krise meinen. „Die Mauern und Zäune, welche die Außengrenzen der EU einfassen, schützen nicht vor Krieg oder Verfolgern, sondern vor Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Wir bekämpfen Flüchtlinge und nicht die Missstände, warum sie hier sind“, so El-Mafaalani, der seine Kanzelrede trotz der erschütternden Zahlen mit Worten der Motivation für die beteiligten Flüchtlingsorganisationen schloss: „Suchen Sie den konstruktiven Streit. Historisch gab es nie einen sozialen Fortschritt, ohne dass vorher um Gerechtigkeit gestritten wurde.“ Begleitet wurde der Gottesdienst durch den Spoken-Word-Poeten Hannes Lage sowie die Sängerin Esperance Mirindi.
Noch bis Ende der Woche wird an und in der Reinoldikirche der Verstorbenen gedacht, aber auch gegen das Sterben protestiert. Ab Mittwoch, 19. Juni, 20 Uhr, wird hier 24 Stunden lang die Liste der Todesfälle von engagierten Bürgerinnen und Bürgern sowie Menschen der Dortmunder Stadtgesellschaft verlesen. Online und analog vor Ort kann man sich für die Einhaltung und Wahrung der Menschenrechte und –würde einsetzen und dazu das Manifest „Menschen schützen – auch an den Grenzen“ unterschreiben. www.sanktreinoldi.de