15.04.2019

Elf Ansichten auf Europa

Theaterstück mit Diskussion im Schauspiel Dortmund

Was ist Europa? Ein Kontinent, eine Landmasse, ein Wirtschaftsraum, eine Wertegemeinschaft? Oder eine Unwertegemeinschaft? Ein starker Abend und starker Tobak waren die Aufführung von „Ich, Europa“ mit anschließender Diskussion im Schauspiel Dortmund.

Eingeladen dazu hatten das Theater gemeinsam mit dem Evangelischen Bildungswerk Dortmund, der Evangelischen Erwachsenenbildung Westfalen-Lippe und dem Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe).

Europa dargestellt als alte Frau, als Friedensbraut mit blutbeschmierten Händen, als Freiheitskämpfer, Geburtstagskind, Untoten, die Erde vom Mond aus betrachtend – elf Mal wird die Figur Europa von zehn Schauspielerinnen und Schauspielern dargestellt. „Alle sind über mich hinweggetrampelt“, beklagt sich die Figur „Europa Hipohondrija“. Alle, angefangen von den Etruskern bis hin zu Goethe.

Die elf unterschiedlichen Europas –mal anklagend, mal leise, mal zynisch, mal schreiend – suchen dem Spannungsverhältnis zwischen Europa und Asien nach, den Verbindungen zwischen dem Nahen Osten und Europa, dem Morgenland und dem Abendland, dem Christentum und dem Islam.  800 Jahre lang währte die islamisch-arabische Geschichte Spaniens, erst vor 1.200 Jahren wurde Europa als Kulturraum beschrieben und vor 2.600 Jahren erstmals benannt.

Elf Autorinnen und Autoren – von Kurdistan bis Syrien, vom Libanon bis Bosnien – waren eingeladen, einen Monolog zum Thema Europa zu schreiben. Die Dramaturgen Michael Eickhoff und Matthias Seier haben die Texte zusammen mit dem Regisseur Marcus Lobbes auf die Bühne gebracht. Dort lässt in wechselnden, grandios anzuschauenden Bühnenbildern, ein Großteil des Schauspielensembles die fiktive Figur Europa sprechen. Das Ziel: „Europa besser zu verstehen“, so Eickhoff.

Das Besondere an diesem Abend, der letzten Vorstellung des Stücks, war die Anwesenheit von sechs der Autorinnen und Autoren – damit verbunden auch die Chance, nach der Vorstellung mit ihnen ins Gespräch zu kommen. In dieser Diskussion betonte Thomas Krieger, stellvertretender Leiter der MÖWe, das politische Projekt der EU mit seinen gemeinsamen Werten. Nach der kommenden Europawahl, da gab sich Krieger sicher, würde Europa die Frage nach Asyl und dem Umgang mit Flüchtlingen neu stellen.

Dieses positive Europabild wurde nicht von allen geteilt. „Ein starkes Europa zu retten würde bedeuten, die Flüchtlinge zu retten und ihnen eine Heimat zu gewähren“, so eine Stimme aus dem Publikum. Nermina Kukic, eine der Autorinnen, plädierte für die Möglichkeit, Staaten aus der EU „auch wieder rauszuwerfen“, wenn sich ihr Bekenntnis zu Menschenrechten als falsch erweist. Polen, Ungarn und Rumänien zählt sie dazu. Kukic hatte den Monolog der „Europa Hipohondrija“ geschrieben. Ihr Anliegen: „Diese schöne alte Frau ist für mich ein Symbol der Ausbeutung der südosteuropäischen Länder.“

Foto: Stephan Schütze
Kurz vor Beginn der Aufführung stellen sich Autorinnen und Autoren, Vertreter der Evangelischen Kirche und des Schauspiels Dortmund dem Fotografen. Foto: Stephan Schütze